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Muttis, Emanzen – und ihre Wendebilanzen

■ Warum denken ost- und westdeutsche Feministinnen oft in Klischees?

Welches Parlament war patriarchaler? Die Volkskammer oder der Bundestag? Über diese Frage gerieten sich kurz nach der Wende eine west- und eine ostdeutsche Landtagsabgeordnete auf einer Podiumsdiskussion in die Haare. Grotesk, wie dabei jede „ihr Deutschland“ verteidigte. Die Episode zeigt, wie gestört das Verhältnis zwischen Ost- und Westfrauen 1990 war. Ob es um Kinder ging, um Männer, Politik oder Gesellschaft, die Frauen fanden keinen gemeinsamen Nenner. Seither scheinen sich die gegenseitigen Klischees an den immer gleichen Punkten zu festigen: dort Muttis – hier Emanzen.

Den Ursachen für die Differenzen zwischen Ost- und Westfeministinnen sind die Journalistinnen Gislinde Schwarz (Osten) und Ulrike Helwerth (Westen) nachgegangen. Dazu haben sie 30 frauenpolitische Aktivistinnen in ganz Deutschland befragt. Ihr Ergebnis: In den fünf Jahren nach der Wende haben sich die Feministinnen viel weiter aneinander angenähert, als es wahrgenommen wird. Das liege aber hauptsächlich daran, daß sich die Ostfrauen der neuen Realität angepaßt haben. Westfrauen dagegen reagierten wie verzögert.

Der Westen ging als „Sieger“ aus dem Konkurrenzkampf der Systeme hervor, und diese Mentalität hat auch westdeutsche Feministinnen angesteckt, meinen die Autorinnen. Im Osten wird eine entsprechende Unterlegenheit kompensiert durch ein Gefühl menschlicher Überlegenheit. Dieses Dominanzverhalten charakterisieren ostdeutsche Feministinnen, indem sie die anderen mit typisch männlichen Eigenschaften belegen: belehrend, entschlossen, arrogant, rücksichtslos, unsozial, egozentrisch, kopflastig. Westdeutsche Feministinnen hingegen beschreiben ostdeutsche als „weiblich“: unselbständig, larmoyant, wenig selbstbewußt, defensiv, anspruchsvoll, passiv, ängstlich.

Während die einen mit den Regeln des gesellschaftlichen Spiels vertraut sind, mußten die anderen sie erst lernen. So unterscheidet sich das Fazit der Wende auf beiden Seiten deutlich: „Für mich hat sich alles verändert“, lautet die typische Antwort der Ostdeutschen, während die Westfrauen fast beschwörend behaupten: „Nichts, überhaupt nichts hat sich für mich verändert.“ Das klingt wie eine Versicherung gegenüber den massiven Ängsten vor Nationalismus, Männerbünden und Krieg, von denen alle befragten Frauen reden.

Dabei gibt es bei westdeutschen Feministinnen tiefgehende Verluste, die sie sich nicht eingestehen. Aufschlüsse darüber birgt eines der interessantesten Kapitel des Buches über das Staatsverständnis der Befragten. Die Westfrauen fühlen sich den 68ern, den Linken, und den Grünen in ihrer Distanz zum Staat verbunden. Sie sahen sich außerhalb der Gesellschaft, während die Frauen aus der DDR die Opposition gegen die Herrschaftsstrukturen aus einer starken Identifikation mit der DDR heraus entwickelten. Doch die Westfeministinnen waren nicht die Außenseiterinnen, als die sie sich fühlten. Und dann führten ihnen die Feministinnen, Bürgerbewegten und Oppositionellen aus dem Osten vor, wie sehr sie sich schon in den Verhältnissen eingerichtet hatten, wie sehr sie sich mit ihrem Deutschsein doch identifizierten. Das erschütterte die westlich feministische oder linke Identität. Das erklärt auch, warum die Autorinnen im Westen keine positiven Wendenilanzen gefunden haben.

Bei den Ostfrauen dagegen liegen Verluste und Gewinne eng beieinander. Alle beschreiben die Wende als riesigen Verlust an Möglichkeiten, Hoffnungen und Souveränität. Sie führen den Paragraphen 218 an, die Arbeitslosigkeit, den Abbau von Kindergärten. Gleichzeitig lehnen es die Ostfrauen vehement ab, persönlich als Opfer oder „Verliererinnen der Wende“ dazustehen. Eine findet ihre Arbeit zum ersten Mal gerecht bewertet, seit sie eine gutbezahlte Stelle an der Universität bekommen hat, und eine andere kann jetzt beruflich machen, was sie privat interessiert.

Besonders die Kapitel über die Rolle von Müttern, über den Stellenwert von Arbeit und die Beziehungen zu Männern bieten viele Details über die westdeutsche Frauenbewegung und die ostdeutsche Frauenpolitik, aus denen beinahe eine deutsch-deutsche Frauengeschichte entsteht – manchmal sogar mit Wechselbezügen: Als 1971 westdeutsche Frauen mit der Kampagne „Ich habe abgetrieben“ an die Öffentlichkeit gingen, erhielten die DDR-Frauen wenig später die Fristenlösung.

Leider inszeniert das Buch nur eine Diskussion, die es nicht gibt. Daß die Autorinnen sich widersprechende Zitate nebeneinandergestellt haben, wirkt seltsam harmonisierend. Denn im Bestreben, die Gräben nicht weiter aufzureißen, verzichten die Autorinnen auf wichtige Fragen und Kommentare. Karin Gabbert

Ulrike Helwerth, Gislinde Schwarz: „Von Muttis und Emanzen. Feministinnen in Ost- und Westdeutschland.“ Frankfurt am Main 1995. Fischer-Taschenbuch, 12,90 DM

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