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Aussiedler werden zur sozialen Minderheit

■ Erstmals Studie vorgelegt: Fehlende Eingliederungshilfen führen zu erhöhter Kriminalität unter jugendlichen Aussiedlern. Jugendkriminalität steigt allgemein

Hannover (taz) – Durch eine Sonderauswertung der polizeilichen Kriminalstatistik hat das kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen jetzt erstmals die Kriminalitätsbelastung von Aussiedlern zu bestimmen versucht. Nach dieser Auswertung hat in den letzten Jahren die Kriminalitätsbelastung in jenen niedersächsischen Landkreisen am stärksten zugenommen, in den auch die Zahl der Aussiedler an stärksten angewachsen ist. „Die Aussiedler seien im Begriff, eine soziale Minderheit zu werden, die von den anderen Deutschen als Außenseiter behandelt wird“, warnte gestern in Hannover der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, Christian Pfeiffer. Wie auch der niedersächsische Innenminister, Gerhard Glogowski, führte er den vor allem in den letzten drei Jahren zu verzeichnenden Anstieg der Kriminalität unter jungen Aussiedlern auf die Reduzierung oder Streichung der Fördermaßnahmen des Bundes für Aussiedler zurück.

Da die Kriminalstatistik für die Aussiedler unter den Deutschen keine gesonderten Daten ausweist, hat Pfeiffer für seine Sonderauswertung die Entwicklung in den vier Landkreisen mit der höchsten Aussiedlerzuwanderung mit der in den fünf Landkreisen mit der niedrigsten Zuwanderung verglichen. In den Landkreisen mit hohem Aussiedlerzuzug ist demnach die Zahl der polizeilich registrierten Straftaten in den letzten fünf Jahren um 31,9 Pronzent angewachsen, in den Kreisen mit niedrigem Zuzug lediglich um 7,5, Prozent. Besonders in der Jugendkriminalität zeigten sich dabei erhebliche Unterscheide zwischen den beiden Landkreisgruppen: In den Landkreisen mit hohem Aussiedlerzuzug stieg die Kriminalitätsbelastung der Jugendlichen und Heranwachsenden um 50,7 Prozent, in denen mit wenig Aussiedlern um 27,5 Prozent. Für ganz Niedersachsen weist die Kriminalstatistik des Jahres 1995 für die ausländische Wohnbevölkerung wiederum einen Rückgang der Kriminalitätsbelastung um 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus. Demgegenüber hat sich im vergangenen Jahr bei den Deutschen die Kriminalitätsbelastung, die nach der Zahl der polizeilich registrierten Tatverdächtigen pro 100.000 Einwohner berechnet wird, um 5,6 Prozent erhöht.

Nach der Sonderauswertung geht dieser Anstieg fast völlig auf erhöhte Jugendkriminalität zurück: Die Kriminalitätsbelastung stieg bei den deutschen Jugendlichen um 17,5 Prozent, bei den Heranwachsenden im Alter unter 21 um 13 Prozent und bei den 21 bis 25jährigen Deutschen noch um 8,7 Prozent an. In allen übrigen deutschen Altersgruppen war im vergangenen Jahr nur ein leichter Anstieg der Kriminalitätsbelastung um 1 bis 2 Prozent zu verzeichnen. Jürgen Voges

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