: ...'nen Mafiaboss als Mann
■ Nur wenige Frauen in Kalabrien wehren sich gegen ihre traditionelle Rolle
Aus dem kleinen Raum im sechsten Stock der Universität von Cosenza dringen Lachen und laute Gespräche. Die Bibliothek soll erst am 8. März eröffnet werden, aber schon jetzt ist sie ein Anziehungspunkt. Sie gehört zum Frauenkulturzentrum „Nosside“, das seit 1986 besteht. „Man sagt hier, daß die Situation der Frauen von der geographischen Lage abhängt“, erzählt Filomena Viola von „Nosside“, „je abgeschlossener von der Außenwelt die Dörfer sind, um so traditioneller die Rolle der Frauen.“ Ihre Rolle beschränkt sich nicht auf das Haus. Sie arbeiten auch in der Landwirtschaft und den Olivenhainen.
„Kalabrien ist sozusagen von der Agrargesellschaft in die postindustrielle Phase gesprungen, und das haben vor allem die Frauen bezahlt“, erzählt Mariorita Lojelo. Ihre starke Rolle in der Familie haben die Frauen eingebüßt, weil das Haus und das Land an Wichtigkeit verloren haben. Kalabrien hat die höchste Arbeitslosenrate in Italien, und „Jungsein und Frausein bedeutet fast sofort Arbeitslosigkeit“. Mit der ökonomischen Unabhängigkeit steht und fällt aber die Stärke der Familie. Und die Familie ist der wichtigste Bezugspunkt für Männer und Frauen. „In unserem Ort Saracena kann ich die Frauen, die sich scheiden lassen haben, an einer Hand abzählen“, sagt Mariorita Lojelo. Sie selbst ist nach der Scheidung in die nächste größere Stadt Castrovillari gezogen. „Die Frauen betrachten mich als eine Gefahr für ihre Männer, weil ich jetzt unverheiratet bin.“
Auch Antonia Salamina bestätigt die starke Konkurrenz unter den Frauen: „Das wichtigste sind die Männer, und andere Frauen sind da natürlich eine Konkurrenz.“ Sie arbeitet jetzt an der Universität in Cosenza und ist vor kurzem zu „Nosside“ gestoßen. „Diese Solidarität unter Frauen wie bei ,Nosside‘ habe ich vorher nicht erlebt. Es ist einfach menschlicher hier im Gegensatz zu der ansonsten vorherrschenden mafiosen Kultur.“
Die drückt sich zum Beispiel in kürzlich geschriebenen Aufsätzen von 13- bis 14jährigen Mädchen in Neapel aus. Das Thema lautete: „Wie stellst du dir deinen Ehemann vor?“ Die meisten wollten einen Camorristen (napoletanische Mafia) heiraten. „Das ist der Mythos vom starken Mann, der die Frauen beschützt“, erzählt Deborah Surace, eine junge Frau aus Reggio di Calabria. „Meine Schwester ist auch mit so einem zusammen. Der läßt sie nicht allein ausgehen und ist auch gewalttätig, aber sie will ihn heiraten.“ Deborah Surace ist sprichwörtlich aus Reggio geflohen und lebt jetzt in Rom, wo sie studiert. „Aber ich bin in Reggio die Ausnahme, meine Schwester ist die Regel. Für die in Reggio bin ich eine Hure, weil ich mich nicht unter die Fittiche eines Mannes stelle, sondern mein eigenes Leben lebe.“ Nathalie Daiber
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