: Allein gegen die Mafia
Wen bekämpft Palermos Mafiajäger im niederbayerischen Hausen? Er hilft Bayerns einzigem grünem Dorfbürgermeister im Wahlkampf ■ Von Manfred Otzelberger
Als der Sizilianer den Gasthof Prügelmeier im niederbayerischen Hausen betritt, führt sein erster Weg in die Küche. Leoluca Orlando will die Wirtsleute sehen. „Auf einem Poster hat er uns ein Autogramm gegeben. Das bekommt einen Ehrenplatz in der Schankstube!“ schwärmt die Wirtin hinterher.
Der Saal, in dem sonst die katholische Landjugend Theater spielt, ist voll. Viele Einheimische sind gekommen. Und viele Kamerateams. Der Oberbürgermeister von Palermo – wegen seiner Gefährdung durch die Mafia auch „die wandelnde Bombe“ genannt – gibt sich die Ehre.
„Francesco, ich danke dir!“ ruft Leoluca in den Saal. Francesco, das ist Franz Petschel, ein politisches Naturwunder im stockkonservativen Niederbayern. Der 50jährige ist Bayerns einziger grüner Bürgermeister. Mit 53,6 Prozent hat ihn die 1.900-Seelen-Gemeinde vor fünf Jahren gewählt. Die CSU, die einen 62jährigen Kandidaten aufgeboten hatte, hat ihn damals nicht ernst genommen. Das kann sie sich heute nicht mehr leisten. Der 50jährige hat durchaus Chancen, am nächsten Sonntag bei der bayerischen Kommunalwahl, die immer wieder für Überraschungen gut ist, wiedergewählt zu werden.
Den berühmten Mafiajäger aus Palermo ins Gasthaus Prügelmeier zu holen, das ist schon was. Seit einem halben Jahr sind Petschel und Orlando, die sich über einen gemeinsamen Bekannten kennenlernten, dicke Freunde. Bei Parmaschinken und Spaghetti in einem Münchner Restaurant kamen sie sich näher: „Da versprach mir Orlando, für mich Wahlkampf zu machen“, erzählt Petschel. Früher war der Italiener auch mal Mitglied bei der Democrazia Cristiana, doch inzwischen sitzt er für die Grünen im Europaparlament. Ein Mann, den auch die CSU so ernst nimmt, daß sie ihn schon eingeladen hat.
Aber nicht deshalb boykottieren manche Hausener das Spektakel ihres Bürgermeisters: „Wer einen Charakter hat, der geht da nicht rein“, schnaubt ein Rentner. „Was soll der Blödsinn?“ fragt CSU-Bürgermeisterkandidat Max Schober. „Was hat Orlando mit dem Wahlkampf zu tun? Wer bezahlt den Polizeieinsatz?“
Über ihren Bürgermeister werde überhaupt „zuviel und zu positiv berichtet“, maulen etliche Gemeinderäte. „Neid ist die deutsche Form der Anerkennung“, kontert Petschel. Ihn ficht das nicht an. Kurz vor Orlandos Auftritt hat er den Gast noch in seinem Haus mit Ente, Blaukraut und Knödel bewirtet und den Bogen von der sizilianischen zur bayerischen Mafia geschlagen: „Die Autobahn verbindet Hausen und Palermo. Und die mafiosen Strukturen in der Politik. Ich sage nur Amigo Streibl, Käseschachtel Hietschacher und Bäderkönig Zwick.“
Der einstige Hobby-Kabarettist Petschel hat Talent zur Polemik. Im September 1994 outete er mit einer Plakataktion CSU-Politiker als Alkoholsünder: „Wir mußten uns endlich gegen die ständigen Diffamierungen unserer Drogenpolitik seitens der CSU zur Wehr setzen. Die behaupteten, wir würden Heroin freigeben wollen.“
Und nun Orlandos Auftritt: Die Mafia zu unterschätzen wäre tödlich, sagt der Mann aus Palermo. „Sie ist gerade da, wo man sagt, es gibt sie nicht. Das einzige, was wirklich hilft, ist, das Bankgeheimnis aufzuheben.“ Als der italienische Freund dann kundtut, daß er den Großen Lauschangriff ganz prima findet, verzieht Franz Petschel neben ihm auf dem Podium keine Miene. Ein Pragmatiker.
Klassische grüne Politik konnte Petschel im Hausener Gemeinderat gegen einen bürgerlichen Block kaum durchsetzen: drei CSU- Leute und neun freie Wähler – drei davon betont christlich. Einen Kindergarten wollte er in Holzbauweise errichten, der Gemeinderat entschied sich für einen 200.000 Mark teuren Massivbau. Petschel hat's geschluckt. Es gibt größere Probleme.
„Man kann einen Kompromiß zwischen einem Flachdach und einem Schrägdach machen, aber nicht da, wo es um das Überleben der Natur geht.“ Die Erdölpipeline, die sich quer durch das Gemeindegebiet bis zu den böhmischen Raffinerien windet, hat der Grüne bis zuletzt wie ein Löwe bekämpft, aber nicht verhindern können. „Der Gemeinderat ist mir in den Rücken gefallen und hat beschlossen, keine Klage dagegen einzureichen. Dieser stählerne Wurm liegt nun eineinhalb Meter unter der Erde. Darüber fliegen Tornados. Nicht auszudenken, wenn mal einer abstürzt.“
Nein, die Revolution fand nicht statt in Hausen. Es sind im wesentlichen Stilfragen, die Petschels Amtszeit die Würze gaben. Der grüne Kommunalpolitiker besuchte über 500 Haushalte persönlich und war sich auch nicht zu schade, in CSU-Veranstaltungen zu gehen: „Das kostete Überwindung, aber es war nötig, um die Lufthoheit über den Stammtischen zu ändern.“
Die Sitte, daß der CSU-Ortsverband die Presseberichte aus dem Gemeinderat schrieb, wurde abgeschafft. Noch mehr Unmut erregte Petschel, weil er die öffentlichen Sitzungen in einen Feuerwehrsaal verlegte, um ZuschauerInnen Sitzplätze zu verschaffen. Dann verlegte der Bürgermeister die Sitzungstage des Gemeinderates von Freitag auf Mittwoch. An diesem Tag macht das Dorfwirtshaus früher zu, und die trinkfesten Gemeinderäte hatten nicht mehr die Gelegenheit, „noch eine gscheite Maß zu kaufen“. Da schäumte die gekränkte Kommunalpolitikerseele: Es kam zum Sitzungsboykott. „Des geht net, und des meng ma net, weil ma des net meng und weil mers so gwohnt san.“
Der Höhepunkt der Reibereien: die Geschenkkorb-Affäre. Petschel wollte partout allen Gemeindemitgliedern, die über 90 Jahre alt sind, jedes Jahr mit Naturalien gratulieren. Schokolade und Obst aus seinem persönlichen Verfügungsfonds, um das Alter zu ehren. „Ich wollte einfach ein Zeichen setzen und den alten Menschen zeigen, daß sie nicht vergessen sind. Aber die Gemeinderäte meinten nur, daß eine Gratulation alle fünf Jahre reicht und die Freßkörbe sowieso bei der Verwandtschaft landen.“
Respektiert wird Petschel wegen seiner stocksoliden Arbeit – 97 Gemeinderatssitzungen mit 1.100 Tagesordnungspunkten – und seines stetigen Kampfs gegen die dritte Mülldeponie auf dem Gemeindegebiet. „Ich mußte als Grüner 150 Prozent bringen, das wußte ich. Das Image, wir wären Chaoten, Langhaarige und Nichtstuer, habe ich korrigiert.“
Bei der Wahl am Sonntag tritt Petschel gleich gegen zwei ehemalige Berufssoldaten an, die ihm Schreckliches vorwerfen: „Er hat sich über praktizierende Katholiken lustig gemacht und ein Medientheater inszeniert, um sich und seine Ideologie in den Vordergrund zu stellen um den Preis, die Gemeinde und ihre Bürger landesweit lächerlich zu machen.“ Wegen solcher Vorwürfe läuft Petschel im Gemeinderat oft auf. „Das Klima ist miserabel“, sagt die CSU, und auch Sündenbock Petschel klagt: „Zu jeder Sitzung gehe ich mit aufgestellten Nackenhaaren. Man will mich fertigmachen.“
Vor allem, daß Petschel noch immer ein ein treuer Anhänger des längst im Nirwana weilenden indischen Gurus Bhagwan alias Osho ist, wird propagandistisch verwurstet. Im Dorf fühlt sich zwar niemand missioniert, doch die CSU ist der festen Meinung, daß Bhagwans Lehre eine Religion ist, die nicht hierhergehört. „Diese freie Entfaltung des Liebeslebens verdirbt die Sitten.“
Petschel alias Swami Prem Akam kontert die sexualneidischen Überfremdungsängste mit einem einfachen Trick. Auf seinem persönlichen Wahlflugblatt wirbt der einstige Bürgerschreck damit, daß er inzwischen verheiratet ist. Natürlich fuhr er wie sein toter Meister Bhagwan im Rolls- Royce vor das Standesamt. Doch solche Ausschweifungen sind bei Petschel selten. Die Mala und das rote Gewand, die er noch als Kreisrat trug und die ihm Pfarrerschelte einbrachten – „Heute Heil Schönhuber, morgen Heil Bhagwan“ –, hat er abgelegt; die erste bayerische Landkommune, die er Anfang der siebziger Jahre gegründet hatte, ist nur noch Nostalgie; die langen Haare – stark gelichtet.
Seinen Brotberuf als Schreiner hat er aufgegeben, er lebt von 2.700 Mark Gehalt. Auf den Wahlplakaten zeigt sich der grüne Politaufsteiger, der sich vorher als technischer Zeichner, Autoverkäufer und Kantinenwirt versucht hat, betont seriös, staatstragend und sorgenzerfurcht am Schreibtisch. Den Schützenverein boykottiert er zwar als Pazifist, aber sein Slogan könnte konservativer nicht sein: „Franz Petschel – da weiß man, was man hat.“
Einer kann ihn nicht mehr wählen, würde es aber auch nicht. Der ehemalige Dorfpfarrer ist inzwischen verzogen; als evangelischer Pastor setzte er acht Kinder in die Welt, konvertierte dann zum Katholizismus und polterte: „Handelt wie Männer, nicht wie Schafe!“ Nach Petschels Wahl rief der Kleriker zum zivilen Ungehorsam auf: „Stellt euch vor, es ist Vereidigung, und keiner geht hin!“ Da war doch tatsächlich einer Bürgermeister geworden, dessen Partei den „Massenmord an Ungeborenen“ billige. „Fatal, fatal!“ schäumte der Pfarrer. „Alle stecken den Kopf weg. Niemand ist es gewesen. Wie nach einem Bubenstreich, der ein wenig danebenging.“
Der niederbayerische Komödienstadel um Don Camillo und Peppone ist vom Spielplan abgesetzt. Der neue Geistliche hat mit Bayerns einzigem grünem Bürgermeister gar keine Probleme, obwohl Petschel den sonntäglichen Kirchgang meidet und lieber unter seinem Kirschbaum sitzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen