■ Otto Schily hat im Bundestag ins Wespennest gestochen
: Reinigungsritual für die Soldaten

Bravo, Otto Schily! Er hat in der „Soldaten-sind- Mörder“-Diskussion das richtige Wort getroffen: „sakrale Überhöhung des Militärs“. Denn es ging bei der Bundestagsdebatte tatsächlich um Sakrales: um Frevel und Tabu. Man reagierte entsprechend – wie angestochen.

Das Töten von Angehörigen der eigenen Spezies, das bei Tieren nicht vorkommt, ist auch für Menschen ein empfindlicher Vorgang, den sie mit Sakrileg und Verunreinigung in Zusammenhang bringen. Sie haben deshalb in allen Kulturen spezielle Reinigungsrituale entwickelt, um den Frevel unschädlich zu machen. Sie suchen den tabuisierten Vorgang mit einem Schutzmantel zu versehen, der den Zorn der Götter von den Soldaten und der Gesellschaft, die sie ausschickt, abhalten soll.

In moderner Zeit wird dieser Mantel „Ehre“ genannt. Das Töten soll dem Soldaten nicht seine Ehre nehmen dürfen, es soll ihm nicht das Kainszeichen aufbrennen dürfen, das den tötenden Menschen normalerweise stigmatisiert und ihn für seine Mitmenschen unheimlich macht. In Deutschland brauchten wir seit 1945 solche sakral-magischen Reinigungshandlungen nicht mehr. Das Tötungstabu hatte bei uns, nachdem wir uns in wilder Orgie darüber hingweggesetzt hatten, 50 Jahre lang absolute Geltung. Jetzt wollen wir uns normalisieren und zu dem Standard anderer Völker zurückkommen. Wir müssen uns der gesteigerten Sensibilität, die wir uns inzwischen zugelegt haben, wieder entledigen. Dazu bedarf es eines rituellen Aktes, den, in Ermangelung sakral-magischer Zeremonien, der Bundestag erledigen soll. Er zelebriert einen „Ehrenschutz“; er versieht die potentiellen Töter mit einer geistigen Hülle, von der sie sich das Blut, das sie vergießen sollen, abwaschen können.

Denn es geht ja nicht etwa um den normalen Ehrenschutz, auf den auch Polizei und freiwillige Feuerwehr Anspruch haben. Man wählt ja die Gruppe der Soldaten aus – und erhöht sie damit –, weil man sie andererseits mit einer Tötungslizenz ausstattet.

Es ist die Frage, wieweit solche Reinigungsrituale heute noch verfangen. Das Tötungstabu ist unübersehbar im Anwachsen. Man hört, daß die englischen Soldaten, die als Töter aus dem Falkland-Krieg zurückgekommen sind, sich in ihrer Haut nicht mehr wohl fühlen, ohne daß ihre Gesellschaft ihnen dabei helfen könnte. Sibylle Tönnies

Rechtsphilosophin an der Hochschule Bremen