Und nächstes Mal Slalom

■ In Lemwerder saßen Blinde und Sehbehinderte zum ersten Mal in ihrem Leben am Steuer

„So, morgen gibst du mir die Autoschlüssel“, scherzt Volker Schilling mit seiner Frau. Bisher hat der 34-jährige nämlich immer nur auf dem Beifahrersitz gesessen. Der Grund: Er ist von Geburt an fast blind.

Am Samstag durfte er aber erstmals selbst das Gaspedal betätigen: Zusammen mit etwa 30 anderen Blinden und Sehbehinderten unter Anleitung von Bremer FahrlehrerInnen. Mit Unterstützung von VW wurden funkelnagelneue und behindertengerechte Fahrzeuge auf die 2,5 Kilometer lange Start- und Landebahn der Aircraft Services Lemwerder GmbH den Blinden für eine einmalige Probefahrt zur Verfügung gestellt.

Volker Schilling hat bereits im Auto Platz genommen, tastet nach dem Sicherheitsgurt und läßt sich die automatische Schalttechnik vom Fahrlehrer Reiner Fojuth erklären. Auf dem Rücksitz Schillings Tochter Melanie, die erzählt, daß ihr Vater bislang nur für das Autowaschen zuständig war.

Dann dreht Volker Schilling den Schlüssel um, nimmt den Fuß von der Bremse und schon rollt der Wagen langsam los. Er will das Auto gleich kräftig durchstarten, aber sein Fahrlehrer mahnt zur Vorsicht. Auch für ihn ist diese Situation sehr ungewohnt. Er gibt Manövrieranweisungen: „So jetzt ein bißchen weiter nach rechts und noch ein bißchen, und jetzt wieder nach links und jetzt mal richtig durchtreten“.

Auf der Start- und Landebahn gilt es, die Richtung zu halten und den anderen Blinden, die ebenfalls in Autos unterwegs sind, nicht in die Quere zu kommen. Immer wieder beschleunigt Volker Schilling bis über 100 km/h und bremst dann abrupt runter. Er fährt Schlangenlinien und soll versuchen, seine Geschwindigkeit einzuschätzen. „So ist das also“, stellt Volker Schilling begeistert fest. „Das macht schon Lust aufs Autofahren, aber was nicht ist, das ist ja nun mal nicht.“

Daß Volker Schilling im Alltag eine „verkehrsschwache Person“ ist, hat er aber über seine frisch erworbende Fahrfreude nicht vergessen: „Es gibt zwei Sachen, die ich den Autofahrern an-kreide: Erstens sehen die meisten keinen Blindenstock und zweitens parken die Autos auf Fußwegen, so daß ich oft dagegen knalle.“ Für eine Auseinandersetzung mit dem Fahrlehrer über soziales Verhalten im Straßenverkehr bleibt aber keine Zeit, denn der gibt schon wieder seine vertraute Anweisung: „Fuß vom Bremspedal und weiter geht–s“. Volker Schillings Fazit dieses Vormittags? „Ich bin um ein Erlebnis reicher. Das kann man gut aushalten.“

Im Bus, der als Wartequartier an der Rollbahn steht, erzählen sich die Blinden von ihren Fahrerlebnissen. Das Ehepaar Reicksmann hält das Autofahren für „eine wunderbare Sache“. Martina Reicksmann hat noch ein restliches Sehvermögen von 2 Prozent, was aber auch zusätzliche Schwierigkeiten verursacht, da sie Hindernisse erst sehr spät erkennt: „Als die weiße Fahrbahnmarkierung auftauchte, wollte ich eine Vollbremsung machen, weil ich dachte, da ist irgendwas. Ich hatte zwar jemanden neben mir, aber in dem Moment fiel es mir schwer, die Verantwortung abzugeben.“ Ihr blinder Mann Antonius findet es „erstaunlich, wie leicht das Ding zu steuern ist.“ Und darin sieht er auch eine Gefahr. Er kann sich jetzt gut vorstellen, daß „jemand mit schlechter Laune oder Wut im Bauch mal schnell kräftig aufs Gaspedal drückt“. Auf die Frage wie kräftig er denn aufs Gaspedal gedrückt hätte, schmunzelt er, der Fahrlehrer hätte ihm erzählt, er würde 140 km/h fahren, ob das stimmt, könne er aber ja nicht überprüfen. Die beiden wollen nun das Auto-Test-Fahren noch ausweiten: „Wir möchten dann mal richtige Hindernisse umfahren oder Slalom.“ ans