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Bremer Freiheit – Ein Drama in 7 Akten

■ Aufführung über die Unmöglichkeiten von Bremens finanzpolitischer Perspektive

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Christian Weber tritt auf die Bühne: „Unerträglich“, schimpfte , „das kotzt mich an“, und: „Wir (blickt auf den CDU-Fraktionsvorsitzenden Neumeyer, rechts neben ihm) versuchen hier, was zu reißen... Wenn mir die Beine weggeschlagen werden, hast Du das zu verantworten.“ Der Schläger, Horst-Werner Franke, SPD-Mitglied, ex-Senator, grinst. Ort des dramatischen Streits: Der Kultursaal der Angestelltenkammer.

Eine kleine Expertenrunde hat sich vesammelt, ein paar Wissenschaftler, Politiker, einige Fachleute aus Verbänden und Senatsressorts. Zumindest eine Frau darf sich zu den Experten zählen: Angelina Sörgel, Referentin für Finanzpolitik bei der Arbeiterkammer. Sie hatte die Runde zum Schlagabtausch im kleinen Kreis eingeladen – praktisch eine Generalprobe.

1. Akt: Hurra, wir scheitern!t

Für Matthias Stauch, den Fachmann vom Finanzressort, der schon für Finanzsenator Claus Grobecker in den 80er Jahren die Sanierungs-Bedarfe berechnete und inzwischen so einige Senatoren hat kommen und gehen sehen, ist die Sache klar: „Es gibt klar eine Nachforderung.“ Schon jetzt gibt es eine Arbeitsgruppe beim Finanzsenator, die die Argumente für die Nachschlag-Forderung 1997 vorbereitet und darüber wacht, daß Finanzsenator Nölle nichts durchgehen läßt, was die bremische Argumentation schwächen könnte. Matthias Stauch gehört dazu. Das Sanierungsprogramm wird sein 1992 formuliertes Ziel, die Zurückführung der Verschuldung Bremens auf 10,4 Milliarden, nicht erreichen. Unverschuldet konnten die Sanierungsziele nicht erreicht werden, wird man sagen, der Konjunktureinbruch ist an allem schuld. Nach der derzeitigen Prognose werden 22 Prozent der Steuereinnahmen im Jahre 1999 zur Schuldentilgung ausgegeben werden müssen, 13,7 Prozent sollten erreicht werden durch das Sanierungs-Geld. Bremen will als Nachschlag 4-5 Milliarden verlangen. Die trotzige Begründung ist die alte: Bremen habe ein verfassungsmäßiges Recht darauf, die Alternative wäre die Auflösung des Bundeslandes.

2. Akt: Kassandras Stunde

Kassandra, der ex-Senator, tritt auf die Bühne. „Was haben wir nicht 1992 alles prognostiziert“, erinnert er. Wer glaubt schon an die heutigen Prognosen? Diesmal wurden sogar bekannte Kleinigkeiten wie der Vulkan vorsichtshalber nicht eingerechnet. „Ich gehe davon aus, daß der Anschlußkonkurs kommt“, das heißt: die Politik ist am Ende. Schon jetzt seien die Senatoren „nichts anderes als Verkünder von Unmöglichkeiten.“ Kein Ausweg in Sicht: „Im Augenblick können wir niemandem erklären, wie Bremen seinen finanziellen Handlungsspielraum gewinnen kann“, meint der ex-Senator.

3. Akt: Der Professor weiß alles

Das ist die Stunde der Wissenschaft. „Das eigenliche Problem“, rechnet Prof. Rudolf Hickel an der Tafel vor, „ist in Bremen nicht lösbar.“ Denn selbst wenn die Entschuldung geklappt hätte, würde sich derselbe Zustand in wenigen Jahren wiederherstellen: Bremens Wirtschaftskraft ist zu gering. Jetzt soll der Tunnel Bremens Steuereinnahmen drastisch erhöhen? Oder die Linie 4!?! „In Bremen nutzen selbst Investitionen in die Wissenschaft nichts.“ Nutzen haben Betriebe irgendwo, Forschung kennt keine Landesgrenzen.

Entscheidend wäre, sagt Hickel, die Hauptstadt Bremen dauerhaft so zu finanzieren wie Bayern „sein“ München . „Einwohnerwertung“ im Finanzausglich ist das Stichwort. Aber für Bremen will nicht einmal Niedersachsen Geld ausgeben: „Ich gehe davon aus, daß das nicht durchsetzbar ist.“

4. Akt: Wir haben keine Wahl!

Das ist die Stunde des Finanz-Realisten: Matthias Stauch bedankt sich für wissenschaftliche Exkurse, die nicht „praktisch“ sind. „Perspektivlos“ sei diese Wissenschaft. Was man tun könne, würde ihn interessieren. Bremerhaven als Kommune in Niedersachsen – eine Finanzkatastrophe. Bei einer Verschmelzung der Länder Niedersachsen und Bremen hätten beide Länder zusammen 850 Millionen weniger in der Kasse.

42.000 Menschen hat Bremen seit 1978 ans Umland verloren im Saldo, nur die Asylbewerber und hilfebedürftige Zuwanderer gleichen die Einwohner-Statistik aus. Bremen muß zigtausend neue Landeskinder gegen den Trend gewinnen, im Länderfinanzausgleich gibt es pro Nase 6.000 Mark.

5. Akt: Nur wer frei stirbt, lebt

Seht ihr! Bremen am Tropf. „Unabhängig von den Schulden“ sogar, ruft der ex-Senator Franke in den leeren Saal, hat „das enge Stadtstaatengebilde keine Chance, in dieser Form der Selbständigkeit weiterzuexistieren“. Die Wünsche des Finanzressorts - eine Chimäre. Überall ziehen die Leute weiter ins Grüne.. Ein Planungsverbund mit der Großregion müsse her, Bremen dabei „einen erheblichen Teil seiner Gestaltungskraft abgeben“. Warum wehrt sich die Politik gegen diese Idee? Hat etwa die Verfassungskommission des SPD-Fraktionsvorsitzenden Christian Weber sich darüber Gedanken gemacht?

5. Akt: Imperium schlägt zurück

Trotzig tritt der SPD-Mann auf die Bühne: Nein, sagt er, man habe andere Probleme mit der Verfassung. „Unerträglich“ die Intervention des politischen Rentners, man sei „geprügelt und gepeinigt mit den sozialen und wirtschaftlichen Problemen“ des Landes, und nun das. Eigentlich sei er sich „zu schade“, solche Debatten zu führen, die nur „Unterhaltungswert“ hätten.

6. Akt: Letztes Grün

Aber Bremen ist zu klein, wendet der Grüne Ralf Fücks ein. Bremen hat schon unter Finanzsenator Kröning den Fehdehandschuh aufgenommen gegen Achim, Weyhe, Osterholz und Delmenhorst. Als ob da die Feinde säßen. Den Strukturwandel kann Bremen nicht schaffen aus eigener Kraft. Schon die Uni überfordert Bremen, finanziell gesehen. Warum nicht mehr Kooperation mit der Uni Oldenburg? Warum nicht längst gemeinsame Raumplanung? Warum nicht eine gemeinsame Wirtschaftsförderung „Weser-Jade“? Die „positive Identifikation“ für den Großraum Bremen fehlt, „da spielt Politik eine große Rolle“, konstatiert Fücks. Ohne „Souveränitätsverzicht“ geht es nicht, „in letzter Konsequenz“.

7. Akt: Geht nicht!

„Die Niedersachsen sind sehr zugeknöpft“, bremst der Mann aus dem Finanzressort. Mit dem Oberkreisdirektor Verden hätten Gespräche über ein neues Gewerbegebiet am Bremer Kreuz stattgefunden. Immerhin. Aber: Ein Finanzausgleich für gemeinsame Gewerbegebiete „geht nicht“.

Epilog über den Tod

Die letzte Konsequenz ist schwer zu denken. Souveränitätsverzicht – das gibt es bislang nicht einmal als Idee im Kopf. Bisher haben alle Gespräche unter der Bedingung gestanden, einen „fairen Interessenausgleich“ hinzubekommen. Aber was hat Bremen zu bieten? Und wem? „Berne, Brake, Delmenhorst, Oberkreisdirektoren, alle sind da gegen alle, und alle erwarten etwas anderes von Bremen“, berichtet Neumeyer von einem hoffnungsvoll einberaumten CDU-Regionaltreffen. Eine gemeinsame Basis mit dem Umland? „Völlig unrealistisch. Diesen Punkt hake ich ab. Geht nicht.“ K.W.

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