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Ein Kleeblatt schlägt Wurzeln Von Ralf Sotscheck

Glücksklee hat vier Blätter. Das Wahrzeichen der irischen Fluglinie Aer Lingus ist dagegen dreiblättrig – zu Recht: Die marode Fluggesellschaft ist nur dank umgerechnet 120 Millionen Mark Steuergeldern knapp an der Pleite vorbeigeschrammt. Kaum war der Laden wieder halbwegs flott, da mußte ein neues Emblem her. Mit der grafischen Ausführung beauftragte man eine englische Firma, die dafür eine „bedeutende Summe in sechsstelliger Höhe“ kassierte. Den genauen Preis behielt man wohlweislich für sich, um die übergangenen einheimischen KünstlerInnen nicht noch mehr zu erzürnen. Durchgesickert ist jedoch, daß der Austausch der Embleme – angefangen beim Briefpapier bis hin zur Heckflosse der Flugzeuge – fast 20 Millionen Mark kosten wird. Die verblüffte Kundschaft traute ihren Augen nicht, als Aer Lingus das wertvolle neue Wahrzeichen enthüllte: Die englische Firma hatte dem Klee nicht etwa ein viertes Blatt spendiert, sondern einen Stiel. Den hatte man erst 1974 abgeschafft. Außerdem ist die Pflanze jetzt um einen Grünton heller und lehnt sich ein wenig nach rechts. „Das neue Kleeblatt mit seinen flüssigen und natürlichen Linien“, so behauptet die Fluggesellschaft, „ist aus dem Alten wiedergeboren und verkörpert die Essenz der neuen Aer Lingus.“ Und was ist diese Essenz? „Irisch, energisch, dynamisch, offen, natürlich und grün“, meinte ein Sprecher. „Das Kleeblatt ist ein machtvolles Symbol, das positive Vorstellungen von Fruchtbarkeit, Frische und reiner Umwelt hervorruft.“

Der Stiel ruft aber ganz andere Vorstellungen hervor. Das neue Wahrzeichen ist offenbar zugleich Programm: Die Flugzeuge haben ebenfalls Wurzeln geschlagen. Als ich neulich nach Boston in die USA wollte, erklärte die Aer-Lingus-Angestellte, daß sich der Abflug verspäten würde – um sieben Stunden. Man müsse erst die Passagiere aus Shannon an der irischen Westküste mit dem Bus abholen, weil das Flugzeug wegen starker Bodenwinde dort nicht zwischenlanden könne. Niemand durfte den Flughafen verlassen, falls es die Landeier wider Erwarten schneller geschafft hätten. Statt dessen brauchten sie jedoch eine Stunde länger. Als das Flugzeug endlich startklar war, ließ die Starterlaubnis auf sich warten.

Irgendwann war der Vogel doch noch in der Luft. Um den entnervten Passagieren die Langeweile zu vertreiben, legte die Stewardeß schließlich eine Videokassette ein: „Der Klient“ nach John Grisham, ein unterhaltsamer Film, der zum Schluß richtig spannend wurde. Zehn Minuten vor Filmende landete das Flugzeug. Die Stewardeß hatte die Kassette zu spät eingeschaltet. Das Betteln der verzweifelten Fluggäste, denen es auf ein halbes Stündchen längst nicht mehr ankam, fruchtete nichts: Der Bildschirm blieb schwarz. Dafür kam die Ansage über den Bordlautsprecher, daß man erst in 20 Minuten aussteigen dürfe, weil das Gedränge in der Gepäckabfertigungshalle zu groß sei.

Als wir endlich freigelassen wurden, war das Kleeblatt an der Heckflosse verwelkt. Aber wenigstens hatten wir bei all der Warterei reichlich himmlischen Beistand: Das alte Flugzeug war vor dem Jungfernflug des neuen Wurzelklees von zwei Bischöfen und einem Pfaffen gesegnet worden.

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