Trocken und ernst

■ Monografie über den Architekt Godber Nissen erschienen

In der Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs, die früher in einem einheitlichen Stil im Junuis Verlag verlegt wurde und nun im neuen Kleid bei Dölling und Galitz erscheint, ist eine weitere Zentralfigur der hiesigen Architektenszene mit einer Monografie geehrt worden. Wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag gilt die Aufmerksamkeit der Hamburger Architekturhistoriker Godber Nissen.

Der langjährige Präsident der Freien Akademie der Künste, dessen Glanzzeit die Saison der Nachkriegsmodernisten war, ist in Hamburg allerdings persönlich viel präsenter gewesen als durch markante Bauten. Anders als beispielsweise Berhard Hermkes, Ferdinand Streb oder Fritz Trautwein, die vielbeachtete Stadtmarken hinterlassen haben, hat Nissens außer mit dem Commerzbankneubau am Neß und zwei Bürobauten am Neuen Wall 41/43 keine innerstädtischen Akzente gesetzt. Und letztere werden gerade von einem Neubau verstellt, für den die schönen Einkaufspavillons des Ensembles verschwinden mußten – und dessen Fertigstellung angeblich aus Kostengründen höchst zweifelhaft ist.

Berühmt wurde Nissen in den Fünfzigern erst einmal durch Krankenhausbauten, die er gemeinsam mit Konstanty Gutschow, dem Stadtplaner der Nazis in Hamburg, der nach dem Krieg angesehen weiter arbeitete, entwarf. Nissen, der in Hitler-Deutschland unter anderem Rüstungsfabriken in Prag und bei Stettin baute, wendete sich unmittelbar nach Kriegsende wieder den Lehren der Moderne zu.

Als bekanntestes Beispiel seines klar funktionalen, unspektakulären Stils in Hamburg gilt die Reemtsma-Verwaltung in Othmarschen (1952-54). Gelber Klinker, großzügige Verglasung, kühl-geometrische Struktur: Nissen baute ganz im Geist der Zeit und vermied es strikt, etwas um der reinen Schönheit willen zu entwerfen. Diese Sachlichkeit, die allen seinen Gebäuden anhaftet, dürfte es dem nicht-professionellen Betrachter schwer machen, in Nissens Architektur etwas zu finden, das einen heutzutage unmittelbar anspricht.

Und die Monografie spiegelt diese trockene, ernste und funktionsoptimierende Haltung Nissens dadurch wieder, daß sie kaum ein lebendiges Bild des Architekten vermittelt. Es mag an dem verschlossenen Wesen Nissens liegen, das hier kein Buch entstanden ist, das einem einen Zeitzeugen mit seinem Werk näher bringt. Aber es liegt auch in der Herangehensweise der Autoren begründet, die etwa versäumen, einen Architekten von nationalsozialistischen Rüstungsfabriken nach seinen Erlebnissen mit Zwangsarbeit, Judendeportation, Kollegen im Exil und Kontakt mit NS-Behörden zu befragen und dies unbefangen kritisch aufzuarbeiten.

Somit beschränkt sich die Informationsbreite der Publikation, abgesehen von einigen Erinnerungen seines Schülers Berhard Winking, ganz auf fachliche Betrachtungen voller milder Urteile und freundlicher Würdigung. Der Mensch Nissen bleibt dabei blaß, die Epoche ist woanders präziser charakterisiert worden. Schade. Till Briegleb

Godber Nissen – Ein Meister der Nachkriegsmoderne; Dölling und Galitz Verlag, 160 S., 48 Mark