■ Dokumentation: Die Chance des Vulkan
Friedrich Hennemann, der Werft-Chef, läßt sich nicht öffentlich schlecht reden. Er wehrt sich – und daß ihm niemand kompetent widerspricht, macht ihm Mut. An die am Mittwoch tagenden Ministerpräsididenten schrieb er „seine“ Wahrheit über den Vulkan in Form eines Briefes. Hier Auszüge:
„Die Beerdigung muß nicht sein. Es kann immer noch eine Lösung geben. Den Schlüssel dafür halten Sie in der Hand. Für eine Lösung muß der Verbund erhalten bleiben. Dies wollen erklärtermaßen die Ministerpräsidenten Bremens und Mecklenburg-Vorpommerns. Dies wollen auch die Arbeitnehmer. (...)
Dafür sprechen zunächst und vor allem betriebswirtschaftliche Argumente. Zur Begründung verweise ich auf den vom „alten Vorstand“ in der letzten Augustwochen (11 Tage vor meinem Rücktritt) einstimmig verabschiedeten .. und aktienrechtlich verbindlich vorgeschriebenen Zwischenbericht 1995. Er weist für 1995 ein positives Ergebnis aus... Ich unterstelle, daß die jetzt veröffentlichte DM 1 Mrd. Verlust überwiegend bewertungs- und rückstellungsbedingt ist. Aufgrund genauer Kenntnis des Konzerns bin ich überzeugt, daß angesichts eines unmittelbar drohenden „Aus“ für den Gesamtkonzern Management und Arbeitnehmer kurzfristig Wege aufzeigen können, die „prognostizierten“ Verluste der Jahre 1996/97 weitgehend zu vermeiden, denn die vorhandenen Aufträge (Auftragsbestand über DM 7 Mrd.) sind alle mindestens kostendeckend akquiriert worden.
Die Prognose von minus DM 1 Mrd. hat der neue Vorsitzende nach gerade 14 Tagen Betriebszugehörigkeit und nach einem halbjährlichen Chaos der Führungslosigkeit (vom 11.9.95-1.2.96) festgestellt. (...) Noch acht Wochen vorher, im Dezember 1995, hat der beste Kenner des Konzerns, der Controlling-Vorstand, der nach über 30 Jahren Betriebszugehörigkeit in den Ruhestand gegangen ist, den Verlust auf maximal DM 350 Mio. geschätzt. (...)
Seit Jan. 1987 liegt die Regie für die maritime Industriepolitik bei der Kommission. Europa hat Milliarden zur Verteidigung dieser Industrie ausgegeben und einen entscheidenden Durchbruch erzielt: Das OECD-Abkommen vom Juni 1994. (...) Es ist eine der wenigen Industrien mit Zukunftsaussichten in „Ihren“ Ländern, als Zukunftsindustrie der norddeutschen Küstenländer fast alternativlos. (...)
Beachten Sie bitte das Warnlicht Blohm&Voss. Nach meiner Auffassung (...) sicher nicht ohne Blick auf das voraussichtliche Scheitern des Verbundes hat der Thyssen-Konzern als erster reagiert und seine Kapazitäten in Hamburg weiter verringert (-1450 Arbeitsplätze). Ich befürchte: Die übrigen Schiffbauer werden folgen müssen. Müssen deswegen, weil, wenn der Vulkan-Verbund als größter Konzern mit maritimen Industrien als unternehmerischem Schwerpunkt zusammenbricht, sie das für diese Zukunftsindustrien notwendige infrastrukturelle Netz wirtschaftlich nicht aufrechterhalten können. Übertrieben ausgedrückt, um deutlich zu bleiben: Für Meyer-Papenburg allein lohnen sich weder die notwendigen Lehrstühle an den technischen Hochschulen, z.B. für Hydrodynamik, die Schiffversuchsanstalten noch Spezialeinrichtungen bei Maklern, Banken etc. (...) Es ist dringend Zeit für ein gemeinsames Handeln zugunsten der maritimen Infrastruktur Norddeutschlands... Deswegen der Appell, daß Sie bitte den Schlüssel in Ihren Händen noch einmal genau ansehen bevor Sie ihn bei Bremerhaven in die Nordsee werfen.
Ohne das Produkt- und Verfahrens-Know-how des Vulkan-Verbundes, schließt Hennemann in seinem Brief, haben auch die Werften in Mecklenburg-Vorpommern mit ihren von der EU eingeschränkten Kapazitätsgrenzen kaum eine Chance.
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