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Zins and Zinsability

Grandiose Deklassierte im Paillettenglanz – Scorseses „Casino“ und überhaupt: Las Vegas!  ■ Von Mariam Niroumand

Es ist gar nicht so abwegig zu vermuten, mit der gegenwärtig auf uns zurollenden Welle von Las- Vegas-Filmen rede Hollywood auch ein bißchen über sich selbst. Als eine Stadt, die 1951 von Bugsy Siegel und der Tinsel-Town- Avantgarde erfunden wurde – als gleichzeitig 150 Kilometer weiter in der Wüste die ersten Atombombentests stattfanden – war es die Nekropolis der Billboards und der ununterbrochenen Showtime. Im Gegensatz zu Rom an einem Tag erbaut, ganz Zeichen, ganz Kunstprodukt, war Las Vegas eine Traumkulisse, deren Glanzzeit gerade in eine Talsohle des Kinos fiel: 1973–1983. Paul Verhoevens „Showgirls“, Mike Figgis' „Leaving Las Vegas“ und schließlich Martin Scorseses „Casino“ feiern dieses Lost Vegas von damals genau in dem Moment, als es sich zu Vegasland renoviert, zu einem mittelamerikanischen Themenpark mit Family values.

Aus der Schattenökonomie ist ein Massenvergnügen mit einem Steueraufkommen von 30 Billionen Dollar geworden, eine Industrie, in der eine halbe Million Leute arbeiten. Im New Yorker kann man zur Zeit lesen, daß ausgerechnet Las Vegas ein Ort ist, an dem die Gewerkschaften für Zimmermädchen noch Macht und Einfluß haben. „Displaced white working class“ nennt der Journalist Mike Cooper ihre Klientel, aber die Zimmermädchen verdienen fünfmal soviel wie ihre Kolleginnen in San Francisco.

Juwelen und türkise Krokolederschuhe

Robert De Niro ist Sam Rothstein in Scorseses „Casino“. Auch er wäre anderswo im Land nichts als ein kleiner Buchhalter, ein jüdischer Bookie, aber hier ist er Mr. Rothstein und die graue, beziehungsweise rosafarbene Eminenz des „Tangiers“. Dasselbe gilt für Ginger, seine Frau (Sharon Stone), die in Los Angeles Hure und Dealerin war; über den Parkplatz vor dem „Tangiers“ aber geht sie als Queen und verteilt an die Livrierten genau abgewogene Mengen royaler Gunst, kleine gefaltete Dollarnoten: „behalt einen für dich“. „Danke, Ginger“. Pailletten, Pelze, Juwelen und türkise Krokodillederschuhe – eigentlich möchte Scorsese, daß wir drei Stunden lang zusehen, wie ein paar kurzfristig nach oben gespülte Deklassierte sich über die Black-Jack- Tische Gemeinheiten sagen, sich auseinandertrinken und mit Mobster-Gesichtern die Köpfe der Konkurrenten in Schraubstöcke quetschen. Nur ist das leider ein bißchen wenig, auch für ein gestrecktes Sittengemälde. Schon beim zweiten Sehen, wenn das Schimmern ein bißchen nachläßt, merkt man: die Sache ist nicht wirklich abendfüllend.

Seltsam zum Beispiel, wie Sharon Stone zur Zeit von allen Seiten für diese Rolle gratuliert wird. Dabei, wenn man es genau besieht, geht ihr Spielraum nicht sehr über das klassische „blonde Gift“ im Film Noir hinaus: Sie heiratet Rothstein, als der ihr die Ehe quasi als Lebensversicherung anträgt, ein Vertrag zwischen Ungerührten. Mit seinem Kinderwunsch wird sie gedemütigt und spielt heimlich die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit mit einem gänzlich unattraktiven Schmock (James Woods), den sie mit Rothsteins Geld über Wasser hält, weil er sogar zum Pimpsein noch zu dämlich ist. Zu Anfang des Films schillert und glänzt sie, enden tut sie keifend und nölig, mit der Frisur eines gerupften Huhns (man erkennt noch die geschorene Sünderin), um schließlich auf dem menschenleeren Flur einer Absteige zu verrecken, wahrscheinlich auf dem Weg zu einem Freier, bis zum Hals voll mit Booze und Kokain. Was an dieser abgeschmackten Abstiegskarriere eine Glanzrolle ist, bleibt ebenso ungeklärt wie die Frage, wie Robert De Niro aus seinem Burn-out-Syndrom herauskommen soll. Was hat er seit „Cape Fear“ schon gemacht? Sein Rothstein ist eine Art Ahasver, ein ewig wandernder, heimatloser Jude, der nicht eigentlich zur Familie gehört und überhaupt nirgendwo hin. Aber kann man sich irgendeinen Mobster mit Familienleben vorstellen, wenn die Mafia als Überfamilie nicht mehr hält? Paten hat die Mafia und junge koksverrückte Hunde, wie Ray Liotta in „GoodFellas“, aber der war auch mit vierzig gestrandet...

Tom Wolfe hat dem Vegas-Essay, mit dem seine Karriere begann, einen extralangen, überlauten Titel gegeben: „Las Vegas (What?) Las Vegas (Can't hear you! Too noisy) Las Vegas!!!“ So ist es mit Scorseses Film auch ein bißchen. Der Soundtrack beginnt mit einem Bachschen Passionschor (gespielt extra laut zu dem Fegefeuer, in das Sam Rothstein aus seinem explodierenden Auto katapultiert wird), um dann rasch von „Sweet little Sheila“, „You really got me goin'“ und selbstverständlich auch Eric Burdons Version von „House of the Rising Sun“ abgelöst zu werden. Kaum ein Titel wird ausgespielt, es herrscht kaum eine Minute Ruhe, statt dessen eine Art panisches Geplapper. Das Voice-over, auch so eine Film- Noir-Anleihe, soll zusätzlich noch versichern, daß, was wir hier sehen, tragische Dimensionen hat. Fast so, als hätte Scorsese Angst, man könnte, wenn die Musik und all der Jazz einmal over wären, hören, wie mühsam knirschend und ächzend diese Geschichte an uns vorbeigekurbelt werden soll.

Dabei hat er haufenweise interessantes Material zusammengetragen, und ab und an glänzt „Casino“ wie ein Royal Flash an einem Abend voller schlechter Karten. Las Vegas, das man sich immer als „Impuls-Country“ vorstellt, entpuppt sich als fragile, paranoide Überwachungsökonomie. Nervös flippt die Kamera (Robert Richardson) von den Croupiers zu den Managern, von den Managern zu den Saalordnern, von den Geldträgern zu den Bossen in Detroit, von den Spiegellampen zu den Videokameras und schließlich hinter die Kulissen zu dem zentralen Kontrollraum, in dem Rothstein auf einem Monitor sieht, um wieviele Chips und wie galant Ginger gerade ihre Abendbegleitung betrügt.

Man sieht auch, wie die Mafia- Ökonomie langsam in die Ökonomie der Big Corporations übergeht. Das Geld als großer, interesseloser Gleichmacher fließt durch die Automatenhälse in Schächte, wird sortiert, gezählt, gestapelt – und dubios verzweigt. Ein jeder in der Endabfertigung, im letzten Kreis der Hölle, nimmt sich ein bißchen auf die Seite, damit rechnet „das System“. Das meiste wird nach Kansas City getragen – näher wagen sich die alten Herren aus Detroit nicht heran an Nevada. Einer bringt ihnen den Koffer. Sie sind die Scorsese-Mischpoke, die GoodFellas mit Zigarren, Warzen, Spaghetti, Glupschaugen und einer Mama hinter dampfenden Töpfen. Gemütlich paternalistisch haben sie Rothstein, dem genialen jüdischen Spieler-Manager, einen von zu Hause, Nicky Santoro, als Kontrolletti zur Seite gestellt – aber Joe Pescis ewig gleiches „Shtickl“ als unberechenbarer gemütlicher Ultrabrutalo-Kumpel altert nicht besonders gut. Es wirkt wie eine verzweifelte Selbstparodie, in die ein ratloser Regisseur ihn zum x-ten Mal hat tappen lassen.

Für Scorsese ist die Ablösung der familiär organisierten GoodFellas durch die anonymen großen Firmen natürlich eine Katastrophe. In einer Western-trächtigen Einstellung läßt er zu guter Letzt auf der ganzen breiten Leinwand Rentner und andere Normalos die Treppen heruntersteigen, wie man früher die Indianer von den Felsen kommen sah. Die Jahre 1973–1983, die der Film in fantastischen Kostümen (Dante Ferretti) aufziehen läßt, waren die Jahre vor der Vertreibung aus dem Paradies. Daß es auch genau die Zeitspanne von Scorseses Top Hits, von „Mean Streets“ bis „King of Comedy“ umfaßt, ist wohl kaum ein Zufall; von allem ist ein bißchen beigemengt. Rothstein ist auch ein Verwandter des „King“, Rupert Pupkin. Als seine Lizenz gefährdet ist, tritt er in einer drittklassigen Fernsehshow auf: „Schließlich habe ich einen Ruf zu verteidigen, die Leute kennen mich doch!“

Rote Neonlichter wie schimmerndes Öl

Die Stadtfahrten sind grandios wie eh und je. Über die spiegelnden Windschutzscheiben der Mobster- Buicks laufen die roten, blauen, gelben Neonlichter wie schillerndes Öl; das zehnstöckige Sphinx- Gebäude zieht vorbei, die ägyptische Glaspyramiden-Disco, das Plastik-Parthenon, das Aztec Nouveau, das Mega-Baghdad, ein Ranchero-Deluxe, Tudor-Moderne – eine grandiose, an Claas Oldenburg erinnernde Universalgeschichte des Showbiz. Und dann natürlich die Wüste, im Western- Geschmack.

Eine Szene singt sozusagen das Scorsese-Leitmotiv, das nun wohl dreißig Jahre alt ist. Ein japanischer Multimillionär verläßt den Spieltisch mit den Taschen voller Casinogeld. Nachdem er, geizig wie er ist, noch schnell die Handtücher des „Tangiers“-Hotelzimmers mitgehen läßt, will er eigentlich die Stadt verlassen. Aber irgendwie verpaßt er sein Flugzeug, und irgendwie hat plötzlich der Privatflieger einen Schaden und ein anderer kann leider auch nicht starten, wohl wegen des Wetters. Natürlich steht Rothstein auf der Treppe: „Oh, ich verstehe gut, wenn Sie so einen Gewinn nicht wieder einsetzen wollen. Ihre Übernachtung geht selbstverständlich auf unsere Kosten! Spielen Sie lieber nicht!“ Aber natürlich muß er doch spielen, der reiche Japaner. Er setzt erst wenig, vorsichtig, verliert ein bißchen. Schließlich reißt es ihn, er setzt alles – und verliert, genau wie Rothstein, der seinen Abflug verhinderte, geplant und gewußt hat. Oh Hybris, oh Schutz vor ihr!

Traurig zu denken, daß es Scorsese mit diesem Filmprojekt vieleicht ein bißchen ähnlich gegangen sein könnte – er weiß noch, wie man Filme macht, aber vielleicht nicht mehr so genau, warum; er hat einfach den Moment nicht mehr gefunden, rechtzeitig vom Tisch aufzustehen und die Finger von einer faulen Sache zu lassen.

„Casino“, Regie: Martin Scorsese. Mit: Robert De Niro, Sharon Stone, Joe Pesci, u.v.a.

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