: „Weg vom Heißen-Stuhl-Prinzip“
■ Seit einem Jahr gibt es das Zeugenbetreuungszimmer / Hauptsächlich Frauen und Jugendliche nutzen das Angebot
Es ist ein außergewöhnliches Projekt, das gestern im Strafjustizgebäude sein einjähriges Bestehen feierte: Das Zeugenbetreuungszimmer. Eine Einrichtung, die es lediglich noch in Limburg und Frankfurt gibt. Ein Raum, in dem sich Opfer von Gewalttaten, betreut von einer Sozialpädagogin, bei einer Tasse Kaffee in angenehmer Atmosphäre auf ihre Aussage vorbereiten und Ängste abbauen sollen. Betreuerin und Sozialpäd–agogin Gerda Rose-Guddusch: „Das Zimmer sollte ursprünglich allein Frauen und Kindern, die Opfer sexuellen Mißbrauchs und sexueller Gewalt geworden sind, vorbehalten bleiben. Doch das hat sich nicht durchgesetzt.“
125 ZeugInnen hat Gerda Rose-Guddusch im vergangenen Jahr in dem schlichten, aber ansprechend mit bequemen Möbeln und Blumen ausgestatteten Raum betreut. Das Projekt war von den Mitarbeiterinnen des „Notruf für vergewaltige Frauen“ und der „Opfer Hilfe“ durchgesetzt worden. „Die psychische Befindlichkeit kann für eine Aussage und den Prozeßverlauf von großer Bedeutung sein“, so die Sozialpädagogin.
Vielen „Angstzeugen“, die oft einer „realen Bedrohung“ ausgesetzt sind, konnte die Furcht vor dem gerichtlichen Auftritt genommen werden, die sich in den tristen Fluren aufbaue und dann später im kargen Gerichtssaal verstärke. Daher reicht nach Auffassung der Zeugenbetreuerin für die Zukunft das Zimmer allein nicht aus, um Zeugen die Angst zu nehmen. Es müßte auch in den Verhandlungssälen eine angenehmere Atmosphäre geschaffen werden. „Weg vom Heißen-Stuhl-Prinzip“, fordert Rose-Guddusch.
Die Palette der Unterstützung – die überwiegend Frauen in Anspruch nehmen - ist breit. So waren beispielsweise bei der richterlichen Einzelvernehmung eine Mutter und ihre beiden Kinder weinend zusammengebrochen, als sie über den sexuellen Mißbrauch durch den Vater aussagen sollten. Erst nach einem Aufenthalt im Zeugenzimmer und der psychischen Betreuuung löste sich die Blockade.
Ein anderer Fall: Eine ehemalige Prostituierte sollte vor Gericht gegen ihren Ex-Zuhälter aussagen. Bei ihrer ersten Vernehmung war die Frau im Gerichtssaal förmlich außer sich geraten und wußte nicht einmal mehr ihren Namen. „Selbst der anwesende Ehemann konnte sie nicht beruhigen“, so Rose-Guddusch. „Auch beim zweiten Mal sitzt sie zunächst zusammengekauert im Sessel des Zeugenbetreuungszimmers, hat Angst und weint.“ Durch intensive psychische Beratung gelingt es der Therapeutin, ihr langsam die Angst zu nehmen. Rose-Guddusch: „Nach ihrer Aussage berichtete die Frau stolz, daß sie bei ihrer Vernehmung nicht weinen mußte.“
Auch für eine Frau, die Opfer eines Überfalls und versuchter Vergewaltigung geworden ist, konnte Gerda Rose-Guddusch nicht nur erreichen, daß sie nicht „im zugigen Gerichtsflur vor dem Angeklagten panisch flüchten“ mußte, sondern auch, daß der Mann während ihrer Vernehmung von der Verhandlung ausgeschlossen wurde – eine außergewöhnliche Maßnahme.
Wenn Frauen es wünschen, nimmt Gerda Rose-Guddusch in Ausnahmefälllen auch als Betreuerin während der Aussage an der Verhandlung teil, sitzt zwischen Zeugin und Angeklagtem als sogenannter „Sichtschutz“. Rose-Guddusch: „So kann die Zeugin einen direkten Blickkontakt oder eine dirkete Konfrontation selbst bestimmen. Ein klarer Schritt zur Wiederherstellung des Selbstbewußtseins.“
Das Projekt „Zeuginnenberatungszimmer“ ist bislang nur noch bis August 1995 gesichert, dann läuft der Zeitvertrag von Gerda Rose-Guddusch aus. Doch gerade die Jugendrichter machen sich dafür stark, daß das Projekt zur Dauer-einrichtung wird. Jugendrichterin Gudrun Stöhr: „Ich schreibe grundsätzlich alle jungen Zeugen an und weise sie auf das Betreuungsangebot hin.“ Kai von Appen
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