: Überlebenskampf kleiner Reisebüros
■ Liberalisierung auf dem Tourismusmarkt / Fortbildungsangebot
„Ab Oktober“, so rechnet Uwe Wierzbinski, Geschäftsführer eines Reisebüros, „wird Neckermann Touristik sein Reiseangebot aus meinem Büro zurückziehen.“ Der Reiseriese sei insgesamt preiswert gewesen, aber in Zukunft müsse er NUR-Reisen bei befreundeten Agenturen „unterbuchen“, um Stammkunden nicht zu enttäuschen. Neckermann Touristik war in Wierzbinskis Reisebüro einmal Hauptveranstalter.
Seit gut einem Jahr kann, nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, jedes Reisebüro mehrere große Anbieter in sein Sortiment aufnehmen. Was für den Kunden unerschöpfliche Auswahl und Vergleichsmöglichkeiten bietet, zerstört vor allem den kleinen selbständigen Büros die Chance auf eine Superprovision für besonders viele Abschlüsse und damit auf zusätzlichen Gewinn. Denn „die Umsätze splitten sich jetzt auf die einzelnen Veranstalter auf“, erklärt Gerd Hesselmann, Präsident des Deutschen Reisebüro-Verbandes.
In Bremen bietet das Berufsfortbildungswerk unter dem unausprechlichen Namen „/tur“ seit einiger Zeit spezielle Fortbildungsveranstaltungen für MitarbeiterInnen kleiner Reisebüros an. „Gerade die Kleinen müssen aktiver werden, um zu überleben“, sagt /tur-Projektleiter Olav Paarmann. So können sie in seinen Seminaren zum Beispiel die neuesten elektronischen Reservierungssysteme erlernen oder sich über Möglichkeiten informieren, selber als Reiseveranstalter auf den Markt zu gehen.
Diese Angebote sind selbst für frische AbsolventInnen der Berufsschulen interessant. Denn deren Ausbildungsinhalte basieren in Bremen noch immer „auf dem Stand von 1979“, kritisiert Paarmann.
Mit dem Wohnmobil durch Amerika oder im Bus nach Italien, eine Sprachreise durch die Täler der Loire oder ein Abenteuercamp in der Wüste – im Reisebüro zeigen die Bilder und Hochglanzprospekte vom Traumurlaub schier unendliche Möglichkeiten. Kataloge von über 40 Urlaubsveranstaltern liegen im Büro von Uwe Wierzbinski auf Ikea-Regalen aus, in einem Nebenraum stapeln sich auf noch mehr Regalen noch mehr Kataloge.
Wierzbinski hat in sein Reisebüro vor einem Jahr zwei große Veranstalter zusätzlich aufgenommen. Bei Neckermann kann er nun die Vorgabe nicht mehr erfüllen, „die reagieren da rigoros“, klagt er.
„Wir sind überhaupt nicht rigoros.“ Neckermann-Sprecher Gunther Träger sieht das ganz anders. Verlange man von einem Reisebüro doch lediglich 150.000 Mark Umsatz pro Jahr mit den Neckermann-Angeboten. „Das ist gerade mal eine verkaufte Reise im Monat.“ Und nur wenn eine Reisebüroagentur offensichtlich keine Chance auf diese Summe habe, ziehe man sich zurück.
Die einzelnen Agenturen bangen nicht nur um ihre Anbieter, sondern müssen auch mit verstärkter Konkurrenz kämpfen, weil seit der Gerichtsentscheidung alle Büros ihre Kunden mit nahezu dem gleichen Angebot bedienen. „Von meinem Büro aus“, erklärt der Geschäftsführer, „kann man 14 andere Agenturen zu Fuß erreichen.“ Als er 1990 seinen Laden mit den zwei Palmen im Firmenschild und den weißen Fensterrahmen eröffnete, gab es nur einen Mitbewerber. „Wir haben dadurch Kunden verloren“; räumt Wierzbinski ein, „aber durch die neuen Veranstalter auch welche gewinnen können.“
Doch bei einem steigenden Katalogangebot kommt die Gefahr dazu, „daß man sich verzettelt“, so Wierzbinski. Beratung sei dann nicht mehr möglich, und der Laden verliere Kunden, prophezeit der Geschäftsführer. Um gut zu beraten, müßten sich Büros spezialisieren, fordert DRV-Präsident Hesselmann. Doch Stammkunden zu halten, fällt schwer. Bei Wierzbinskis Reisebüro erhalten sie Rabatt. „Mehr als drei Prozent sind jedoch nicht möglich“, sagt er, es sei im Geschäft eh schon knapp. tt/Ase
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