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Klinikskandal weitet sich aus

■ Auch Hirnhäute von an Krebs, Tuberkulose und Aids Verstorbenen wurden illegal an Pharmafirmen weitergegeben

Der Skandal um unerlaubt entnommene Hirnhäute an Berliner Krankenhäusern ist schwerwiegender, als bislang vermutet. Bei der Sektion von Leichen sind zwischen 1989 und 1994 insgesamt 4.000 Hirnhäute entnommen und unterderhand an die Pharmaindustrie weitergegeben worden. Dabei wurden auch Hirnhäute von Patienten verkauft, die an Tuberkulose oder Krebs gestorben waren. Mit dieser Erklärung ging Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) jetzt aufgrund von Presserecherchen in die Offensive. Nach Informationen der taz geht die Uniklinik Rudolf Virchow davon aus, daß in einem Fall auch die Hirnhaut eines an Aids Verstorbenen an eine Pharmafirma gelangte (siehe Kasten). Gesundheits- Staatssekretär Detlef Orwat betonte, daß die Hirnhäute von der Pharmaindustrie chemisch behandelt würden. Deshalb sei „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Weitergabe von Krankheiten möglich.“ Dies gelte auch für Aids.

„In der geringsten Zahl der Fälle lag eine Einwilligung der Patienten für die Entnahme vor“, erklärte Hübner. Damit haben die Kliniken gegen eine Anweisung der Gesundheitsverwaltung verstoßen, wonach eine Weitergabe von Gewebeteilen nur mit Zustimmung der Patienten zulässig ist. Zudem sind nicht nur drei, sondern acht Krankenhäuser in den Verkauf der Gewebeteile verwickelt. Nach Angaben von Senatorin Hübner handelt es sich neben dem Virchow-Klinikum um das Urban- Krankenhaus, das Behring-Krankenhaus, das St.-Gertrauden- Krankenhaus, das Klinikum Buch, das St.-Josef-Krankenhaus sowie zwei Standorte des Krankenhauses Spandau.

Hirnhäute werden bei Operationen als Hautersatz verwendet. Der Hirnhautskandal war im Februar 1994 erstmals öffentlich geworden. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Hauptabnehmer, die hessische Firma Braun Melsungen. Sie nahm 3.500 Stück ab, 500 Stück gingen nach Hübners Angaben an die Firma Biodynamics in Erlangen. Anhand einer Liste der Firma Braun Melsungen veranlaßte die Gesundheitsverwaltung die betroffenen Kliniken, die Fälle zurückzuverfolgen. Bei 1.700 Hirnhäuten kann aber nicht festgestellt werden, von welchem Krankenhaus und welchen Patienten sie stammten. Nach den Listen von Braun Melsungen kommen 1.700 Hirnhäute aus dem Krankenhaus Westend, das zur Virchow-Klinik gehört. Aber die Daten stimmen mit den Sektionsdaten der Virchow-Klinik nicht überein. „Wir tappen völlig im dunkeln“, so der ärztliche Leiter, Eckart Köttgen.

Aus einem Schreiben des Regierungspräsidiums Kassel, das der taz vorliegt, geht hervor, daß Braun Melsungen bis 1994 Lieferungen auch dann entgegennahm, wenn keine schriftliche Bestätigung über die Einhaltung der Entnahmekriterien vorlag. Dazu gehört auch, daß Infektionskrankheiten ausgeschlossen sind. Der bündnisgrüne Abgeordnete Bernd Köppl kritisierte „eine Kette von Verantwortungslosigkeit bei pathologischen Abteilungen und der Pharmaindustrie“. Er warf ihnen Fahrlässigkeit und Mißachtung medizinischer Standards vor.

Vor allem die schlechtbezahlten Sektionsgehilfen stehen im Verdacht, die Hirnhäute gegen eine Aufwandsentschädigung von 30 Mark abgegeben zu haben. Mit Ausnahme des Urban- und des Gertrauden-Krankenhauses, so Hübner, hätten die Chefärzte der Pathologie nicht von der unerlaubten Weitergabe gewußt. Der Chefpathologe des Urban-Krankenhauses wurde aufgrund des Skandals abgesetzt, das Behring-Krankenhaus in Zehlendorf entließ zwei Sektionsgehilfen, das Virchow-Krankenhaus feuerte einen Mitarbeiter. Dorothee Winden

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