Wurfsendungen aus dem Flugzeug

■ IG Bau ruft zum Aktionstag für angemessenen Mindestlohn

Berlin (taz) – Es ist schon absurd. Jenseits des Zaunes auf der Sony-Baustelle am Potsdamer Platz in Berlin bibbert ein kleines Häuflein erwerbsloser Bauarbeiter und protestiert für eine Entsenderichtlinie. Diesseits des Zaunes jedoch werkeln die Kollegen ungerührt weiter, heben Schächte aus, setzen die Preßlufthämmer an. Keiner kommt rüber. „Wer noch Arbeit hat, solidarisiert sich eben nicht so einfach“, seufzt Klaus Schröder von der Berliner IG Bau. Anderswo hatte die Gewerkschaft mehr Glück: In 150 Städten protestierten gestern während des „Aktionstages“ der IG Bau insgesamt rund 35.000 Beschäftigte für einen Schutz gegen ausländische Billig- Konkurrenz.

In München wurde nach Gewerkschaftsangaben eine Baustelle umstellt, auf der fast nur noch ausländische Beschäftigte arbeiten. In Hamburg und Oberhausen warfen Protestierende Flugblätter aus Flugzeugen ab. In Erfurt versammelten sich etwa 1.500 Bauarbeiter zu einer Kundgebung gegen Arbeitsplatzabbau.

Die IG Bau hatte zu dem Aktionstag aufgerufen, nachdem die Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft über einen gesetzlichen Mindestlohn gescheitert waren. Die Gewerkschaft hatte auf einem Mindestlohn von 19,58 Mark die Stunde bestanden, der dann im Rahmen des Entsendegesetzes auch für zugereiste ausländische Arbeiter verbindlich wäre. Der Mindestlohn entspricht 80 Prozent des westdeutschen Facharbeiterlohnes. Dieser Mindestlohn sei angesichts der schwierigen Lage in der Bauwirtschaft nicht verhandelbar, hatte der Vizepräsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Wilhelm Küchler, erklärt.

Das deutsche Handwerk wies gestern die Forderung der Gewerkschaft nach einem Mindestlohn von 19,58 Mark ebenfalls zurück und bekräftigte, ein Entgelt von 15 Mark sei realistisch. Der Generalsekretär des Handwerksverbandes, Hanns-Eberhard Schleyer, erklärte im ZDF-Morgenmagazin zu der Gewerkschaftsforderung: „Andere Branchen werden dies nicht mitmachen. Ein solcher Stundenlohn liegt über dem, was heute schon in Deutschland im Bau mindestens gezahlt wird.“

„Wir sollen Hilfsarbeiterlöhne bekommen, das geht doch jetzt schon los“, zürnt Baggerfahrer Rainer S. aus Berlin. Sein tariflicher Lohn als Facharbeiter liege bei 25 Mark. Aber die Bauunternehmer versuchten schon jetzt, beispielsweise Baggerfahrer nur noch als „Einsteifer“ abzustufen. „Außerdem werden Überstunden nicht mehr bezahlt.“

Als Schlichter im Mindestlohn- Konflikt ist jetzt der ehemalige Finanzminister Hans Apel (SPD) berufen worden. Innerhalb von sieben Tagen muß er sich mit den streitenden Tarifparteien treffen, nach weiteren zwei Wochen ist dann ein Schlichtungsspruch fällig. Sollte die Schlichtung scheitern, hat die IG Bau einen Arbeitskampf angekündigt.

Ein vereinbarter Mindestlohn muß noch vom Tarifausschuß beim Bundesarbeitsministerium für allgemeinverbindlich erklärt werden. Erst dann ist der Mindestlohn im Rahmen des Entsendegesetzes gültig: Zugereiste ausländische Arbeiter dürfen auf hiesigen Baustellen dann nicht unterhalb dieses Lohnes beschäftigt werden. Je nach Region sind inzwischen 10 bis 30 Prozent der Arbeiter nichtansässige ausländische Kräfte, nach Schätzungen der IG Bau insgesamt etwa 200.000 Arbeiter. Gleichzeitig sind allein 350.000 ansässige Facharbeiter im Bauhauptgewerbe arbeitslos gemeldet. Barbara Dribbusch