: Hahn gegen Hahn, Mann gegen Mann
Der Unparteiische schreibt die Namen der Kontrahenten an die Tafel, der Wetteinsatz wird festgelegt, und die beiden Hähne spüren nervös, daß der Kampf jetzt bald beginnt ■ Aus Baños in Südecuador Claudia Ulferts
Die funzelige Glühbirne wirft mattes Licht auf den kahlen Vorraum der Hahnenkampfarena. Einziges Möbelstück ist ein vier Meter langer Tisch. An seiner Schmalseite hängt eine zerkratzte Schalenwaage von der Decke herunter. Leise pendelt sie vor einer alten Wandtafel hin und her, auf der die Wetteinsätze der vergangenen Woche gerade noch zu erkennen sind.
Samstag abend, 19 Uhr. Männer strömen am Ende des Markttages in die Gallera Municipal, die städtische Hahnenkampfarena der südecuadorianischen Stadt Baños. Rubén González, mit 23 Jahren einer der jüngsten Hahnenkämpfer der Stadt, tritt ein mit Colorado. Er hält seinen rotbraunen Hahn so behutsam auf dem Arm, als handele es sich um ein Kleinkind. Zärtlich fahren seine Finger durch Colorados grünlich schillernde Schwanzfedern. Rubén begrüßt zwei ältere Hahnenkämpfer. Beide tragen Anzug und Krawatte, die abgetragenen Schuhe sind auf Hochglanz poliert. Hier kennt jeder jeden. Hände werden geschüttelt, Schultern geklopft. „¿Qué tal? Wie sieht's aus? Wirst du deinen heute kämpfen lassen?“
Das Stimmengewirr macht die Hähne nervös. Sie spüren, daß es bald losgeht, und fangen an zu kikerikien. „Vamos, gehen wir!“
Zwölf Hahnenkämpfer stellen sich um den großen Tisch herum. Ihre Tiere halten sie mit beiden Händen vor sich fest. Gegnerschau. Mienen werden undurchsichtig: „Sieht schlapp aus, dein Jüngelchen“, provoziert Rubén einen älteren Mann, dessen Hahn Blanco, Weißer, genannt wird. „Paß auf, der nimmt es noch längst mit deinem Feigling auf!“ zischt der zurück.
Die Hähne werden quer über den Tisch aufeinander zugehalten. Wie auf Kommando sträuben sich ihre Halskrausen. Sie versuchen nacheinander zu hacken, doch ihre Besitzer ziehen sie zurück. „Tranquilo, amigo – gleich kannst du's ihm zeigen“, murmelt Rubén. Als wahrer Hahnenkämpfer hält er stets Ausschau nach einem ebenbürtigen Gegner. Er empfindet pure Verachtung für diejenigen, die, wie er sagt, „die Toten suchen“, also bewußt schwächere Gegner wählen.
Rubén González und Don Patricio Escóbar sind sich einig. Sie tragen ihre Hähne zum Schiedsrichter, der sie nacheinander in die Waagschale legt. „Bueno, Gewichtsklasse stimmt.“ Der Unparteiische schreibt die Namen der Kontrahenten an die Tafel. Das Stimmengewirr ebbt zu Wortfetzen ab. Um die Hahnenkämpfer bildet sich ein Pulk von Menschen. Die Hähne werden hochgehalten, gedreht, von allen Seiten gemustert, bevor der Wetteinsatz festgelegt wird: 150.000 Sucres – etwa 150 Mark –, kritzelt der Schiedsrichter an die Tafel. Für ecuadorianische Verhältnisse eine stattliche Summe, zuviel für Rubén und Don Patricio. Sie brauchen Freunde und Unterstützer, die an ihre Hähne glauben und sich am Wetteinsatz beteiligen.
Die Arena hat einen Durchmesser von sechs Metern und ist von einer 1,20 Meter hohen Bande umgeben. Verkrustetes Blut und Dreck kleben an ihrer Innenseite. Überall liegen Federn. Hinter der Bande gruppieren sich die Zuschauer. Einige wenige Frauen sitzen mit ihren Kindern auf den Holzbänken und warten auf den Beginn, während die Männer sich in der grell erleuchteten Arena um ihre Favoriten scharen.
Die meisten trinken Zuckerrohrschnaps und fachsimpeln über Rassen, Preise und Trainingsmethoden. Ein guter Kampfhahn kostet umgerechnet zwischen 400 und 2.000 Mark. Seine Aufzucht ist zeitintensiv. Erst ab dem achten Monat kann mit dem Training begonnen werden. Etwa fünfmal die Woche kämpft er gegen andere Hähne, wobei den Vögeln Schaumstoffbällchen auf die Sporen gesetzt werden, damit sie sich nicht verletzen. Kamm und Kehllappen werden gestutzt, die Beine abrasiert und zur Kräftigung der Muskulatur mit Alkohol massiert. Als Futter bekommt der Hahn eine Getreidemischung, Obst und Vitaminsäfte.
Rubén González zieht zwei fünf Zentimeter lange, gebogene Fischgrätsporen aus seiner Hosentasche. An deren Ende befinden sich kleine Metallhalterungen, die wie kleine Fingerhüte aussehen und exakt auf die natürlichen Sporen des Hahnes passen. Rubén erhitzt ein Stück Wachs, bestreicht damit die Metallhalterungen und klebt die Fischgrätdornen auf Colorados Sporen. Er ist unzufrieden, nimmt die Sporen wieder ab und paßt sie dem Hahn neu an. Endlich, der Winkel stimmt. Mit einem Klebeband umwickelt Rubén die Sporen, so daß sie sich nicht mehr verschieben können.
Don Patricio hat Blanco auf die gleiche Weise präpariert. Den Hähnen sind ihre künstlich verlängerten Waffen lästig. Sie picken daran herum. Anstelle der harten Fischgrätsporen dürften Rubén und Don Patricio auch Schildpattdornen verwenden. Rasierklingen, die bevorzugte Hahnenkampfwaffe im Nachbarland Peru, sind in Ecuador verboten.
Jedes Wochenende werden bis zu zehn Hahnenkämpfe ausgefochten. Eine besondere Regel betrifft die erste der insgesamt 20 Kampfminuten: Tötet ein Hahn seinen Gegner in dieser Zeit – was sehr selten passiert –, winken dem Besitzer mehrfache Wettprämien. Geld ist jedoch nur ein Anreiz für einen Hahnenkämpfer. Mindestens genauso wichtig ist, wie der Hahn den Besitzer repräsentiert. Ein gallo cobarde, ein feiger Hahn, wird als persönliche Schmach empfunden. Kämpft er hingegen mutig, kann sein Besitzer stolz auf ihn sein, selbst wenn der Hahn am Ende verliert oder gar stirbt. Meistens jedoch überleben beide Hähne, weil einer vorher aufgibt und den Kampf damit beendet.
Der schrille Pfeifton des Schiedsrichters fordert die Zuschauer auf, ihre Plätze einzunehmen. Nur Rubén und Don Patricio bleiben zurück. Der Unparteiische überprüft die Sporen der Hähne auf Manipulation. Einige Hahnenkämpfer setzen ihren Vögeln angemalte Metallsporen auf oder präparieren die Sporen mit giftiger Flüssigkeit. Vermutet der Schiedsrichter einen solchen Betrug, kann er den Hahnenkämpfer zwingen, dessen Ehrenhaftigkeit zu beweisen: Vor aller Augen muß dieser dann die Sporen seines Hahnes waschen und den Vogel die Flüssigkeit trinken lassen.
„Todo bien, alles in Ordnung.“ Der Unparteiische geht zu der in der Mitte der Arena hängenden Stoppuhr und stellt den Zeiger auf 20 Minuten. Ein Pfiff, die Zeit läuft. Rubén und Don Patricio werfen ihre Hähne in die Mitte und ziehen sich an den Rand der Arena zurück. Ein paar Sekunden steht die Zeit still. In Drohgebärde erstarrt, fixieren sich die Hähne. Ihre Halskrausen sind hoch aufgerichtet, die Köpfe leicht gesenkt. Fast berühren sich die Schnäbel. Dann attackieren sie sich mit ungeheurer Wucht, flattern fast einen Meter hoch, strecken einander beim Zusammenprall in der Luft die Krallen entgegen. Wieder auf der Erde, umkreisen sie sich, Schnabel an Schnabel, und lauern auf eine neue Angriffsmöglichkeit. Aus dem Publikum kommen Anfeuerungsrufe: „Colorado, du schaffst es! Ich setz' auf den Rotbraunen.“ „Blanco, mach den Roten fertig! Hombre, tritt ihm eins rein!“
Die Hähne sind gleich stark. Wild hacken sie nacheinander, Federn fliegen durch die Luft. Doch keiner gibt auch nur einen Zentimeter nach. Beide bluten bereits an Kopf und Hals. Plötzlich gelingt es Colorado, über seinen Gegner zu kommen. Er rammt ihm die Sporen in die Seite. Sofort schrillt die Pfeife des Schiedsrichters. Rubén und Don Patricio stürzen los, um die völlig ineinander verkeilten Hähne zu trennen. Don Patricios Gesicht ist schmerzverzogen. Er benetzt Blancos blutende Wunde mit Speichel, spreizt seine Flügel. Wieder pfeift der Schiedsrichter. Die Hähne müssen losgelassen werden.
Ohne Zögern greifen beide wieder an. Blanco ist durch seine Wunde leicht geschwächt. Zweimal läßt er sich von Colorado an die Bande drängen. Doch er kämpft weiter. Die Stoppuhr zeigt noch elf Minuten an. Beide Hähne lassen etwas nach. Die weißen Federn von Blanco sind blutbefleckt. Der rechte Flügel schleift nach. Colorado zwingt ihn wieder in die Offensive. „Carajo, Colorado, der Weiße ist fällig!“ schreit ein Mann und stößt sein Schnapsglas um, als er sich über die Bande lehnt. Rubén und Don Patricio feuern ihre Hähne leidenschaftlich an. Hahn und Besitzer werden eins, wie unsichtbar aneinander gefesselt. In den Gesichtern der Männer spiegelt sich der Kampf: Schmerz, Hoffnung, Enttäuschung.
Dann, blitzschnell und völlig unerwartet, befindet sich Blanco über dem Rotbraunen und tritt ihm den Sporn in die Brust. Ein Pfiff. Die Hähne werden getrennt.
Colorado ist schwer getroffen. Sein Gefieder ist blutüberströmt. Er taumelt, kann sich kaum noch aufrecht halten. Mühsam versucht er, den Angriff des Weißen abzuwehren. Doch dann, in einer deutlichen Demuts- und Schmerzenshaltung, senkt er langsam den Kopf. Die Beine knicken ein, der rotbraune Hahn fällt im Zeitlupentempo zu Boden. Sekundenlange Stille. Dann pfeift der Schiedsrichter den Kampf ab. Dröhnender Applaus füllt die Arena. Scheine wandern von Hand zu Hand, und die nächsten Hahnenkämpfer beginnen ihre Vorbereitungen.
Rubén legt seinen schwerverletzten Hahn auf den langen Holztisch. Vorsichtig untersucht er Colorados Wunden. Der Kopf des Hahnes hängt schlaff zur Seite. Ein Betrunkener torkelt vorbei und spottet: „Der taugt doch höchstens noch für den Kochtopf.“ Rubén ignoriert ihn. Er saugt die Wunden des Hahns eine nach der anderen aus und spuckt das Blut auf den Boden. Dann klemmt er Zeigefinger und Daumen zwischen Colorados Schnabel, um ihm das Atmen zu erleichtern.
Sie ähneln sich, der halbtote Hahn und sein resignierter Besitzer, dessen Gesicht und Pullover voller Blut sind. „Warst trotzdem gut“, murmelt Rubén, „mala suerte, amigo, hast einfach Pech gehabt.“
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