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Nach der Zerstörung kehrt Normalität ein

■ Gedenktafel für jüdischen Friedhof wird heute im Mercado enthüllt Von Julia Kossmann

Der große Aufschrei blieb aus, als vor fünf Jahren das Wissen um den von den Nazis zerstörten und in Vergessenheit gebrachten jüdischen Friedhof in Ottensen wieder ausgegraben wurde. Der Abriß des Hertie-Kaufhauses, zu Wirtschaftswunderzeiten über dem Friedhof erbaut, und der Neubau des Mercado wurde zur Kulisse eines mehrjährigen Streits: Um das Gedenken der Toten in jüdischer Tradition, um den Umgang mit der deutschen Geschichte und darum, wie weit sich Hamburger Politiker und Geschäftsleute noch in der Pflicht sahen, zumindest den Versuch eines Ausgleichs für die Verbrechen zu leisten, die an jüdischen Mitbürgern verübt wurden.

Ein roter Samtvorhang verhüllte gestern noch im Mercado die Gedenktafel, die auf die einstige Existenz des Friedhofs hinweist. Auch Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow, der die Verhandlungen mit jüdischen Organisationen, mit Investoren und der jüdischen Gemeinde in Hamburg führte, nimmt heute abend an der Einweihung teil. Neben Hunderten von Namen jener Menschen, die hier einst begraben lagen, wird ein kurzer Text die Geschichte der Totenstätte seit 1663, die Zerstörung in den 40er Jahren und die Ereignisse am Rande der Baustelle, die weltweit Schlagzeilen gemacht hatten, skizzieren. Eine Gedenktafel im Einkaufszentrum findet Mercado-Manager Eberhard Gärtner zwar ungewöhnlich, doch er habe „damit kein Problem“. Lange habe man überlegt, ob ein Gedenkraum oder eine außen angebrachte Tafel angemessener sei. Nun sei auf halber Höhe im Basement der richtige Ort gefunden, für Gärtner „der Abschluß einer langen politischen Vergangenheit“.

Bedeckt – wie verständlicherweise im ganzen Verlauf des Konflikts – hält sich die jüdische Gemeinde Hamburgs. Ihr Rabbiner Dov L. Barsilay ist erst seit zwei Jahren im Amt und „möchte dazu nichts sagen“, da die Angelegenheit „vor meiner Zeit gewesen und gelöst worden“ sei.

Wer im Mercado einkauft, findet außer Lebensmitteln und profanen Gütern auch ein Buch, das die denkwürdige Normalität historisch beleuchtet: „Streitfall jüdischer Friedhof Ottensen 1663 – 1993 – Wie lange dauert Ewigkeit“ ist der Titel der Dokumentation. Über 20.000 Dokumente haben die Historiker Ina Lorenz und Jörg Berkemann auf Relevanz geprüft und die wichtigsten im Buch zugänglich gemacht. Bürgerschaftsprotokolle und Kaufverträge, Interviews und Zeitungsartikel machen die Hintergründe der Diskussionen am Bauzaun von 1991 bis 1993 kenntlich, als sich dort unmittelbare Ausdrucksformen menschlicher Ratlosigkeit, Verdrängung und Erinnerungsversuche abspielten und ein geschichtlicher Diskurs mitten im Leben geführt wurde.

50 Jahre waren seit dem Zerstörungswerk der Nazis vergangen, als die Senatskanzlei versuchte, bei der Durchsetzung ihrer Interessen und der der Investoren, möglichst noch eine geschichtsbewußte Figur zu machen, was ihr wenig gelang. Nachzulesen ist das alles ebenso wie die historische Entwicklung des Friedhofs seit 1663, als der Landdroste zu Pinneberg aschkenasischen Juden den Kauf eines Friedhofsgrundstücks erlaubt hatte.

Lorenz/Berkemann, „Streitfall Jüdischer Friedhof Ottensen“, 2 Bände, Dölling & Galitz, 58 Mark;

Empfehlenswert auch: Ulla Hinnenberg, „Der jüdische Friedhof Ottensen“, Stadtteilarchiv Ottensen, 24 Mark

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