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Grimme-Preis auf Dumpingkurs

In diesem Jahr vergab der Deutsche Volkshochschulverband nur 11 von 16 möglichen Auszeichnungen: Grimme-Gold ging an „Der Sandmann“ (RTL 2) und „Geister“ (arte/WDR)  ■ Von Tilmann P. Gangloff

1995 muß ein miserables Fernsehjahr gewesen sein. 16 Auszeichnungen können die verschiedenen Jurys für den Adolf-Grimme-Preis vergeben; sie kamen nur auf 11. Vor allem die Jury „Allgemeine Programme“ war mehr als sparsam: für Fernseh- und Dokumentarfilme, Unterhaltungssendungen und Reportagen gab es nur sechs von zehn möglichen Preisen.

Aber der Schein trügt: 1995 war ein vortreffliches Fernsehjahr. Nicht zuletzt dank der Bemühungen der deutschen Privatsender, mit aufwendigen, hochkarätig besetzten „TV-Movies“ auf Prestige und Quoten zu kommen, strotzte das Jahr nur so von auszeichnungswürdigen TV-Filmen. Und allein das Thema „50 Jahre Kriegsende“ bescherte sämtlichen öffentlich- rechtlichen Programmen eine kaum überschaubare Menge an Informationssendungen, die nicht alle so schlecht gewesen sein können, daß sie gar nicht erst bis in die Jury vordrangen.

Um die Dumpingpreis-Politik nachvollziehen zu können, muß man wissen, wie der Grimme-Preis funktioniert. Vorschlagen kann ausnahmslos jeder; theoretisch kommen also sämtliche Fernsehproduktionen für einen Grimme- Preis in Frage, vorausgesetzt, sie entstanden mit deutschem Geld und waren hierzulande im jeweiligen Jahr zu sehen. Tatsächlich wurden für 1995 über 600 Titel genannt. Um diesen Berg auf ein erträgliches Maß abzutragen, gibt es eine Nominierungskommission; sie wählt aus, was den drei Jurys – Allgemeine Programme, Serien und Mehrteiler, Spezial – schließlich vorgelegt wird. Traditionell mokiert sich jede Jury über die Auswahl, weil alle Juroren das eine oder andere Schätzchen vermissen. Dieses Jahr war die Situation jedoch besonders frappant. Kein einziger der Fernsehfilme zum Thema „50 Jahre Kriegsende“, weder „Drei Tage im April“ noch das „Deutschlandlied“, fand sich im Kontingent, keine Informationssendung aus diesem Umfeld, nur eine kaum der Rede werte Dokumentation von „Spiegel TV“. Reportagen waren ohnehin Mangelware, dagegen überwogen Filme über Menschen, die – zynisch formuliert – rasch porträtiert wurden, solange sie noch lebten. Skandalös aber ist, daß ein (jüngst in Baden- Baden) ausgezeichneter Film wie Nico Hofmanns „Großer Abgang“ nicht vorlag. Statt dessen gab's einen eher lächerlichen Komödienversuch wie „Club Las Piranjas“, dem Tiefpunkt in der Karriere Hape Kerkelings, oder ein peinlich zweitklassiges „TV-Movie“ wie Peter Keglevics „5 Stunden Angst“.

Zum Glück war Hofmann 1995 gleich für zwei der besten TV- Filme verantwortlich; unbestritten herausragend und fraglos eine der intensivsten Produktionen der letzten Jahre war der raffinierte Serienmörderfilm „Der Sandmann“ mit einem überragenden Götz George (Buch: Mathias Seelig); beide, Hofmann und George, erhalten stellvertretend für Stab und Schauspieler den einzigen Grimme-Preis mit Gold, den die Jury „Allgemeine Programme“ vergab. (Es ist der erste Grimme- Preis für RTL 2.) Ein zweites Gold ging an Lars von Trier für seinen Mehrteiler „Geister“ (arte/ WDR). Die beiden anderen Preisträger in der Kategorie „Serien und Mehrteiler“ sind die RTL- Produktionen „Kommissar Beck“ und „Balko“.

Bei den „Allgemeinen Programmen“ dominierten öffentlich- rechtliche Fernsehfilme. Neben einer überaus kurzweiligen Reportage über das Rennpferd des Bergmanns, die Brieftaube („Taubenliebe“ von Axel Hofmann und Werner Kubny, WDR), und einem nostalgischen Rückblick auf die freie Liebe der Hippie-Ära („The Big Pink“ von Kolin Schult, arte/ ZDF), waren vier der sechs Preisträger TV-Filme. Diese Auswahl ist durchaus repräsentativ fürs Angebot: Die Mehrzahl der nominierten Produktionen waren Krimis und Komödien oder Kriminalkomödien, so daß der renommierte Preis Gefahr lief, zum „Adolf- Krimi-Preis“ zu mutieren.

Immerhin ist es dem WDR gelungen, einer ehrwürdigen Institution des Fernsehens der DDR einen neuen Schub zu geben. Der Jury lagen gleich zwei WDR-Beiträge zur Reihe „Polizeiruf 110“ vor. Die Folge „1A Landeier“ wurde schließlich ausgezeichnet, weil die Autoren Dirk Salomon und Thomas Wesskamp die gewöhnliche Krimi-Dramaturgie gründlich gegen den Strich bürsten. Ihre Protagonisten sind einfache Landpolizisten (Oliver Stritzel und Martin Lindow), denen zuzuschauen einfach Spaß macht. Weitere Preise erhalten Sascha Arango (Buch) und Konrad Sabrautzky (Regie) für die Treuhandkomödie „Zu treuen Händen“ sowie Uwe Frießner für das Berliner Jugenddrama „Abgefahren“ (beide ZDF). Die Preisträger in der Kategorie „Spezial“ sind Oliver Kalkofe für seine höchst amüsanten Persiflierungen des täglichen TV-Trashs in „Kalkofes Mattscheibe“ (premiere) sowie Helmut Merker für die Redaktion der WDR-Reihe „100 Jahre Kino“. Mit der „besonderen Ehrung“ des Jahres wurde diesmal der stellvertretende ZDF-Programmdirektor Heinz Ungureit gewürdigt.

Die elf vergebenen Grimme- Preise gingen an eine Handvoll Sender. Insgesamt aber gibt es in Deutschland (inklusive der Dritten) über zwei Dutzend Programme mit nennenswerter technischer Verbreitung (Kabel oder Antenne); ganz zu schweigen von jenen Sendern, die zwar Lizenzen, aber kaum Kabelplätze haben und nur via Satellit empfangen werden können (wie TM 3 oder Nickelodeon). Angesichts der digitalen Kompression und der dadurch möglichen Programmflut, die selbst professionelle Fernsehkritiker nicht mehr überschauen können, scheint eine Reform der Grimme-Preis-Statuten überfällig. Ein erster Schritt, um wenigstens der Jury für die „Allgemeinen Programme“ aus Verlegenheiten zu helfen, ist die Einführung eines Rückholrechts: In Zukunft darf die Jury Sendungen aus dem Topf der eingerichteten Vorschläge nachnominieren. Der Unübersichtlichkeit der deutschen Fernsehlandschaft ist damit natürlich noch nicht beizukommen.

Glaubwürdigkeit, Seriosität und Transparenz sind die höchsten Güter des vom Deutschen Volkshochschulverband gestifteten wichtigsten deutschen Fernsehpreises. In der Diskussion sind daher verschiedene Reform-Modelle, zum Beispiel eine Aufteilung des Kontingents in Genres (Bestes Talkshow, beste Gameshow, bestes TV-Movie) oder Auszeichnungen nach dem „Oscar“-Prinzip (beste Regie, bester Autor, bester Darsteller). Die freiwillige Preisreduzierung durch die Jury „Allgemeine Programme“ war als weiterer Anstoß zur Reform gedacht. Den Schaden aber hat in erster Linie das Medium, dem der Preis verpflichtet ist: das Fernsehen.

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