: Gut kontrolliert ins Aus
Nach dem 0:1 bei Feyenoord im Europacup der Pokalsieger hat auch Borussia Mönchengladbach die Nase nicht mehr in der Luft ■ Aus Rotterdam Bernd Müllender
Wieder einmal war es Stefan Effenberg, der im Mittelpunkt stand. Dabei hatte er alle Finger bei sich behalten und auch zu Fuß wenig Bewegendes zur Veranstaltung im hübschen Stadion „Zur Schüssel“ („de Kuip“) von Rotterdam beigetragen. Aber gerade das war es. Gladbachs Trainer Bernd Krauss hatte ihn als Mittelstürmer aufgeboten, was Feyenoord-Coach Arie Haan vorher arg verwundert und nachher noch mehr erfreut hatte: „Ich habe nicht glauben wollen, daß Effe in der Spitze spielt. Ich nehme doch nicht meinem besten Mann alle Freiheiten. Für uns war das natürlich sehr gut.“
Effenberg, „der Querulant ohne mentale Qualitäten“ (de Volkskrant) war von Rotterdams personifizierter Unerbittlichkeit Bernard Schuiteman vor allem in der zweiten Halbzeit komplett abgemeldet worden. Seine auffälligsten Szenen hatte Effenberg als Stimmungskanone: Zwei Ellbogenchecks ins Gesicht des Gegenspielers zeigten, daß er seine oberen Extremitäten nicht nur beleidigungshalber einzusetzen weiß, sondern auch zur Erwärmung der Atmosphäre im Stadion. Ansonsten: das bekannte arrogante Machogehabe und Gemaule kombiniert mit provozierenden verbalen Stänkereien Richtung Gegner und einem kleinen versteckten Tritt ans Kontrahentenbein. De Volkskrant hatte schon gewußt, warum sie „der Effe“ so schön doppeldeutig als denjenigen deutschen Fußballer vorgestellt hatte, der „wie kein anderer die Nase in der Luft“ habe beim Fußballspielen. Was ja sportlich, Augen hoch, gute Übersicht, als Lob zu sehen ist ...
Aber es lag nicht nur an Effenberg, daß die Borussia nach dem dürren 2:2 im Hinspiel ausschied. Obwohl sie gewinnen mußte, spielte sie zwar gemäßigt offensiv, aber mit torungefährlichen Defensivspezialisten wie Schneider, Wolf und Eichin, zudem mit einem völlig formfreien Michael Sternkopf. Und immer war da die angezogene Handbremse aus Angst vor einem Gegentreffer. Dabei agierte Feyenoord längst nicht so selbstbewußt, souverän und scheinbar unverletzlich wie Ajax tags zuvor gegen Dortmund.
Zur Halbzeit noch war Gladbachs Manager Rolf Rüßmann bester Dinge. Ja, die Seinen hätten den Gegner doch „gut kontrolliert“, und das eine Tor, das werde schon noch kommen. Dann lief ihnen die Zeit davon, und weil es nicht kam (nicht mal mehr eine richtige Chance dazu), sondern sogar auf der Gegenseite, beklagte der Personalverantwortliche später den Personalmangel. Wozu ihm aber konkret nur der einzig Verletzte, Martin Dahlin, einfiel und ein Jörgen Pettersson, den er für Europacup-Einsätze zu spät verpflichtet hatte. Und Rüßmann sprach, als hätte das Spiel zuvor nicht stattgefunden: „Stell dir vor, Feyenoord nimmt den Taument raus und den Vos – was dann ...?“
Nichts anderes hatte Arie Haan getan, als er in der Schlußviertelstunde sein Team komplett entsturmte und der eingewechselte Orlando Trustfull (85. Minute) zum euphorisch gefeierten Siegtreffer traf. Das Fanal zur kollektiven Verzückung – erst war Dortmund von Ajax ins Moffenland zurückgeschickt worden, jetzt standen die eigenen Lieblinge im Halbfinale: „Duitsland, Duitsland – alles ist vorbei“ schallte es aus 45.000 Kehlen. „Feyenoord lebt wieder“ feixte Haan, der Wiedergeburtshelfer. Und Gladbach lebt weiter als Team mit begrenzten Möglichkeiten im Bundesliga-Alltag.
Effe fand es übrigens „richtig, ganz vorne im Angriff zu spielen“, und stieg, Nase voran, wichtigmienig in den Mannschaftsbus. Als dieser längst auf der Autobahn war, hatten die gut 2.000 Borussia- Fans immer noch Stadiongebot. Erst anderthalb Stunden nach Schlußpfiff wurden sie von martialisch aufgerüsteten Hundertschaften aus dem Gefängnis befreit und in ihren Sonderzug gestopft.
Solche Maßnahmen, so eklig und gespenstisch sie wirkten, hatten in der haßerfüllten Stimmung von Rotterdam – leider – ihren Sinn. Denn nicht die europaweit gefürchteten Feyenoord-Hools waren es, die vor dem Spiel für Randale sorgten, sondern die Gladbacher. Sie hatten den Stadionbahnhof gestürmt, einige Waggons eines Pendelzuges geentert und dann versucht, das Stadion über die Zäune zu stürmen. Auch hier zeigten die Deutschen schwache Sturmleistungen und wurden von der verteidigenden Polizei unter hämischem Applaus der Einheimischen zurückgeprügelt.
Der Pendelzug hatte darauf eine dreiviertel Stunde Verspätung, was die Stimmung der Wartenden im Hauptbahnhof nicht gerade beruhigt hat. Gerade als diverse Haßlieder auf die Deutschen intoniert wurden, der überquellende Bahnsteig vom garstigen Lied über geplante „Moffenmorde“ erfüllt war, wurde der Berichterstatter als Deutscher geoutet. Augenblicklich war er von Dutzenden verdutzter Augen und vom Geruch stramm wehender Fahnen eingekesselt: Da, so ein widerlicher Duitser, hier unter uns, unglaublich! Doch das geschunkelte Mitsingen des Vereinsliedes brachte schließlich die Absolution für die Ungnade der falschen Geburt. Eigentlich war es, jedenfalls im nachhinein, sogar ganz lustig.
Zuschauer: 45.000; Tor: Trustfull (85.)
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