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Arg zerknittertes Seemannsgarn

■ Freddy Quinn in enttäuschender Umsetzung der Käutnerschen Waterkant-Story im CCH

Die Leidensfähigkeit des Publikums scheint unbegrenzt. Möglicherweise kann es sich ein Gefühl wie Enttäuschung aber auch gar nicht leisten: Dazu waren die Eintrittskarten für das Musical Große Freiheit Nr. 7 schließlich zu teuer. 50 bis 60 Mark – diese Ausgabe werden sich manche der im CCH Sitzenden zumindest reiflich überlegt haben.

Aber schließlich ging es ja um Freddy Quinn, um den Mann, der vom Alter her eigentlich in Rente gehen sollte, sich aber immer noch ein Make-up verpassen läßt, das ihn zum Vierzigjährigen machen soll. So spielen sie denn die Klamotte um den Seemann, der die Barfrau in der Großen Freiheit nicht liebt, dafür aber eine andere, jüngere, die wiederum einen Gleichaltrigen anhimmelt. Am Ende muß Freddy wieder zur See, dort wo Männer am schönsten einsam sein können, wo sie von weiblicher Nähe nicht gestört werden. Was für eine schöne Geschichte, mit subtilen Anspielungen auf Körperangst und Leidenschaft, auf Homoerotisches und Hafenarbeit. Die Große Freiheit Nr.7 – das war für Hans Albers und seinen Regisseur Helmut Käutner am Ende des Nationalsozialismus eine Art vorweggenommener Querelle: Männer sind nur mit sich und den Kameraden glücklich.

Doch die Deutschen mochten den Film vorwiegend der Nähe zum Rotlichtmilieu wegen. Heute ist er nur noch aus cineastischen Gründen verdaulich. Was machen nun Freddy & Co. daraus? Ein biederes Spektakel, das niemanden aus dem Publikum zufrieden gestellt hat. Die Lieder? Geschenkt. Und: Freddy sollte so konsequent sein und seine Songs nur noch playback (wie das Orchester) bringen – live klingt sein Bariton nicht mehr brummig, sondern schauerlich. Seine Arbeitskollegen auf der Bühne? Insuffizient. Vielleicht waren sie billig zu haben; es wäre nicht das erste Tourneetheater für abgehalfterte Schauspieler.

Und die Atmosphäre? Nichts gegen eine Kunst, die von Bildungsbürgern schwer nachgefühlt werden kann, doch muß man das zahlende Volk so verarschen und Kulissen als Potemkinsches Dorf in bemalter Baumwolle aushängen? Wollen Erwachsene Kasperletheater? Die Große Freiheit sah denn auch aus wie ein versehentlich gekochter Wolkenstore: Es knitterte.

Eventuell sind Quinn & Mitspieler aber auch nur daran gescheitert, daß ihre Gäste das bessere Programm längst im Fernsehen bekommen und die große weite Welt der verkniffenen Leidenschaften inzwischen auch pauschal auf touristischem Wege eingelöst wird – in irgendeinem Puff zwischen Batavia und Bombay. Eine Frau flehte beim zweiten Vorhang: „Junge, komm bald wieder.“ Die um sie Herumstehenden schüttelten nur den Kopf. Eine Tragödie hatten sie nicht erwartet.

Jan Feddersen

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