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Rollende Räder in Khayalitsha

Erstmals führte eine internationale Radrundfahrt durch ein südafrikanisches Township. Die teilnehmenden Profis aus aller Welt waren erst ängstlich, dann begeistert von der Atmosphäre  ■ Aus Kapstadt Nanette Kröker

Laut schallt die Musik auf den Straßen von Khayalitsha, dem größten Township in Kapstadt. Umringt von tanzenden und klatschenden Leuten bietet Jörg Arenz, Fahrer der deutschen Mountainbike-Nationalmannschaft, eine spontane Solovorstellung. Während sich Arenz zu weiteren Tanzeinlagen ermuntern läßt, sind die Vorbereitungen für das erste internationale Radrennen in einem schwarzen Township in vollem Gange.

In einem langen Konvoi treffen nach und nach alle Beteiligten ein. Wie eine große Zirkustruppe wirken sie mit ihrem glitzernden Equipment zwischen den baufälligen Holzhütten. Mit gemischten Gefühlen sehen die 80 Fahrer und ihre Betreuer aus Südafrika, Australien, Deutschland, Finnland, Kasachstan und Slowenien dem Rennen entgegen. „Es ist doch etwas gefährlich hier, es sind zu viele Leute und dann die Tiere – was hier alles rumläuft, Hunde, Hühner und Kühe!“ bangt der slowenische Betreuer Janez Lapagne angesichts der etwas ungewohnten Rahmenbedingungen um die Sicherheit seiner Leute.

Die Rennfahrer sind seit rund vier Wochen zum Aufwärmtraining in Südafrika. Aus Deutschland sind Fahrer der Mountainbike-Nationalmannschaft, Teams der Radsportklubs EC Bayer Köln und Olympia Dortmund sowie zahlreiche Einzelfahrer aus Cottbus und Leipzig dabei. Während der zwölftägigen Rundfahrt können sie neben vielen Trainingskilometern reichlich Eindrücke über Land und Leute sammeln. Vor ihrem Auftritt in Khayalitsha hat sie die Fahrt allerdings ausschließlich in Kleinstädte geführt, mit den riesigen schwarzen Townships sind sie nicht in Berührung gekommen.

Jens Lehmann, Profi aus Leipzig, ist zum ersten Mal in Südafrika. Überrascht haben ihn die krassen Gegensätze in diesem Land. Europäische Zustände habe er hier angetroffen, und dann fühlte er sich innerhalb von zehn Kilometern in eine andere Welt versetzt. Dies sei zum Teil deprimierend, findet Lehmann, auch wenn man mit großer Begeisterung empfangen werde. Daß die ausländischen Fahrer auch einen Eindruck der weniger schönen Seite der südafrikanischen Gegenwart erhalten, ist eine Sache. Hauptintention der Veranstalter ist es jedoch, für den Radsport zu werben. „Wir gehen davon aus, daß es hier unheimlich viel Potential gibt“, so der Initiator der Tour, Chris Willemse.

Vor sechs Monaten ist die Idee entstanden, ein Straßenrennen der bereits seit 1988 jährlich stattfindenden Rundfahrt in ein Township zu verlegen. „Die Leute können es sich ja nicht leisten, zu internationalen Sportereignissen zu fahren, also kommen wir hierher“, erklärt Willemse. Der Hauptsponsor der Tour, eine südafrikanische Krankenversicherung, war schnell von der Idee überzeugt, und auch in Khayalitsha stieß man auf breite Unterstützung. Das Khayalitsha Development Forum (KDF), eine Dachorganisation aller politischen und gesellschaftlichen Vertreter des über eine Million Einwohner zählenden Township, übernahm die Organisation und die Werbung vor Ort.

Trotz begeisterter Willkommensrufe bleiben einige der Fahrer skeptisch. „Wenn man sich das hier alles so anguckt, na, Hunger leiden die wahrscheinlich nicht, aber man kann verstehen, wenn die Kleinen hier anfangen zu schnüffeln. Was ich nicht verstehen kann, ist, warum wir hier Radrennen fahren müssen – wem bringt das denn was?“ fragt beispielsweise der Kölner Fahrer John Paul Fürns.

Die Bewohner Khayalitshas begrüßen die Entscheidung, hier ein internationales Radrennen zu veranstalten, allerdings ziemlich einmütig. „Es ist ein schönes Ereignis, vor allem für die Kinder. Die haben so etwas ja noch nie gesehen, höchstens im Fernsehen“, sagt Ringso Sanquela, eine von 60 Sicherheitskräften, die heute im Einsatz sind und für einen reibungslosen Ablauf sorgen sollen.

Und als das Rennen startet, schwappt die Woge der Begeisterung auf alle Fahrer über. Mit hochgereckten Armen fahren sie an der Menge vorbei, es wird gewinkt und gerufen. Die Zuschauer haben sich ihre Favoriten längst ausgesucht. Arenz, der sich schon vor dem Rennen mit seiner Tanzeinlage Freunde gemacht hat, wird lautstark angefeuert, doch genauso werden die hintenliegenden Fahrer zu Spurts ermuntert. „Fünf Runden lag ich hinten und an jeder Ecke riefen alle ,66, 66!‘, das spornt extrem an und gibt Energie, die Stimmung hier ist perfekt“, so Donovan Atkinson aus Johannesburg. 50 Runden sind zu fahren, und nach einer guten Stunde steht Jukka Heinikainen (Finnland) als Sieger fest.

Nun ist der Zeitpunkt für die Zuschauerinnen und Zuschauer gekommen, sich die Fahrer aus der Nähe anzusehen, es werden Autogramme verteilt und Hunderte von Fragen beantwortet. „Es ist wirklich anders hier, in Finnland sind nicht so viele Leute am Radsport interessiert. Am Anfang waren wir alle auch etwas nervös, wir kennen das halt nicht. Aber es ist phantastisch, wie begeistert die Leute sind“, schwärmt Klas Johannson vom finnischen Team.

Viele der Zuschauer möchten selbst an Radrennen teilnehmen, so zum Beispiel Zimikwaya Dyidi und Michael Monako: „Es ist wunderbar. Das ist das neue Südafrika, und wir sind stolz darauf, daß so ein Rennen hier stattfindet. Es sollten viel mehr Leute aus Europa hierherkommen und die Menschen sehen und kennenlernen, jetzt wo es keine Apartheid mehr gibt. Wir würden gern trainieren und wenn wieder ein Rennen stattfindet auch mitfahren.“

Das ist ganz im Sinne von Chris Willemse. Der ehemalige Profi- Rennfahrer wird im Juni in Khayalitsha einen Radklub gründen. Fahrräder werden von ihm gestellt, und auch das Training der jungen Fahrer wird er selbst in die Hand nehmen. Das Khayalitsha Development Forum hat ihm für seine Initiative grünes Licht gegeben. Laut Sam Dube, Vertreter der Organisation, wird das KDF den Kontakt zu Schulen herstellen, organisatorisch weiterhelfen und die Initiative bekanntmachen.

Nach dem einschlägigen Erfolg des Rennens soll auch nächstes Jahr wieder in Khayalitsha gefahren werden. Und Chris Willemse schmiedet hierfür schon besondere Pläne, denn dann soll es mehrere Rennen geben, an denen die diesjährigen Zuschauer selbst teilnehmen können.

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