: Über vier Brücken mußt du gehn
„Ausufernde Geschichten“ über die Glienicker Brücke: Zuerst aus Holz, dann aus Stahl, aus Stein, wieder aus Stahl, mutierte sie später zum Spionumschlagplatz ■ Von Ute Scheub
Wie kaum ein zweites Bauwerk repräsentiert sie die ver-rückte Welt des Kalten Krieges. Bis zum Mauerfall war sie die einzige Brücke auf der Welt, deren westliche Hälfte im „Osten“ und deren östliche Hälfte im „Westen“ lag, die zwei politische Welten gleichzeitig verband und teilte. „Glienicker Brücke – Ausufernde Geschichten“, unter diesem Titel würdigt ein jetzt im Berlin-Brandenburg Verlag erschienener Bildband die bewegte Historie dieser alten Verbindung zwischen Potsdam und Berlin.
Wann genau die erste der insgesamt vier Versionen der Glienicker Brücke erbaut wurde, hat der SFB-Journalist und Buchautor Thomas Blees trotz langwieriger Recherchen nicht herauskriegen können: vielleicht 1660 oder 1669, vielleicht aber auch erst 1683. Gesichert ist jedoch, daß die erste der Havelbrücken aus Holz bestand und ihren Namen dem heute längst vom Moloch Berlin verschluckten Gutsbezirk Klein-Glienicke verdankte.
Zwischen den beiden Residenzstädten entwickelte sich gar bald ein lebhafter Verkehr, Kutschen ratterten hin und her. Aber so richtig ging die Post erst ab, als auf der Strecke ein Postreisedienst eingerichtet wurde. Ab 1754 wurde daraus eine tägliche, von invaliden Wachsoldaten kontrollierte Postwagenverbindung.
Die damals verfaßte „Instruction vor die Wachhaltenden Invaliden an der Glünickschen Brücke“ ist ein interessantes Dokument, kann sie doch als historische Ehrenrettung für die später dort Wache schiebenden Grenzpolizisten der DDR gelesen werden. Die „Instruction“ beweist, daß der sinnlose Bürokratismus kein genuines Produkt des realen Sozialismus war, sondern nur ein verspätetes Produkt der preußischen Idee, der Staat sei dazu da, Papiere über den Staat zu produzieren. Die Wachsoldaten, so heißt es in der „Instruction“, sollten „einen jedweden Fuhrmann, welcher von Potsdam nach Berlin führet, genau examiniren und nach dem Post-Zettul befragen, ist er mit solchen versehen, können sie ihm ohngehindert passiren lassen, wenn er aber keinen Post-Zettul hat, haben sie den Schlag Baum zuzuhalten und denselben nicht eher über die Brücke zu lassen, bis der Fuhrmann auf die aufhabende Persohnen von dem Post-Amte zu Potsdamm einen Post-Zettul geholet und gelöset hat; des Morgens aber dem Gedachten Post-Amte einen richtigen Rapport abstatten, wer von Potsdam nach Berlin gefahren, wie die Lohn-Fahrer geheißen, und wie viel Personen sie aufgehabt.“
Auch der Planungsbürokratismus von damals kommt uns heute bekannt vor. Weil die aufkommenden Dampfschiffe nicht mehr durch die alte Holzbrücke paßten, entwarf Karl Friedrich Schinkel unter der Regentschaft von Friedrich Wilhelm III. eine Steinbrücke mit zierlichem Geländer und Laternchen. Doch die Bauplanung „verfing sich im Gestrüpp von Bürokratie, feudalen Launen, Geldmangel und Knausrigkeit“, hieß es in einem Zeitungsbericht. Erst ein zweiter, schlichterer Entwurf fand königliche Gnade und wurde 1831 realisiert.
Um die Jahrhundertwende explodierte die Bevölkerungszahl Berlins und mit ihr der Verkehr per Kutsche, Straßenpferdebahn und schließlich auch Auto. Um 1900 passierten monatlich rund 11.400 Fuhrwerke und 6.000 Autos die ächzende Steinbrücke. Die Firma des Duisburger Brückenbauers Johann Caspar Harkort erhielt den Auftrag, den historischen Schinkel abzuräumen und eine moderne Eisen-Stahl-Brücke zu errichten. Sie wurde 1907 der Öffentlichkeit übergeben.
Das Ding steht bis heute. Die deutsche Wehrmacht haute sie zwar noch im April 1945 in einem Akt sinnloser Zerstörung mit zwei Sprengsätzen in Stücke, aber 1949 war die Brücke mehr oder weniger in alter Form wiederaufgebaut. Die alte Ost-West-Verbindung, fortan nach dem Willen der Brandenburger Landesregierung ausgerechnet „Brücke der Einheit“ geheißen, war indes seit 1952 nur noch mit Sonderausweisen und seit dem Mauerbau 1961 nur noch für Militärs passierbar. Diese waren offenbar so schwergewichtig, daß die Brücke 1985 auf Kosten des Westberliner Senats erneut instandgesetzt werden mußte.
Oder waren es die spektakulären Austauschprogramme für Spione und Spitzel, die das Bauwerk in seinen Grundfesten erschütterten? 1962, 1985 und 1986 wechselten Dutzende von Agenten die Seiten, bis 1989 waren es wahrscheinlich Hunderte.
Thomas Blees: „Glienicker Brücke. Ausufernde Geschichten“. be.bra verlag, 132 Seiten, 59 Abbildungen, 39,90 Mark.
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