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Sucht allein reicht eben nicht

■ Methadon: Der Hamburger Drogenbeauftragte Horst Bossong im taz-Interview über die Bedeutung eines neuen Urteils des Bundessozialgerichts für Junkies, Kassenärzte und ihr Geld

Neue Hoffnung für substitutionswillige Junkies? Nach dem Auslaufen des Hamburger Me-thadonvertrages wird nur noch nach strengen Richtlinien substituiert. Das Bundessozialgericht hat aber vergangene Woche beanstandet, daß nur halbtote Abhängige Methadon bekommen. Auch Junkies mit weniger schwerwiegenden Krankheiten hätten Rechtsanspruch auf kassenfinanzierte Substitution. Das Gericht verlangt, die Vergabekritierien – die sogenannten NUB-Richtlinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) – zu erweitern. Die Kassenärzte bangen um ihr Geld.

Über die Reichweite dieses Urteils sprach die taz mit dem Hamburger Drogenbeauftragten Horst Bossong.

taz: Wieso freuen Sie sich so über das Urteil des Bundessozialgerichts?

Horst Bossong: Die Position des Substitutionswilligen wird durch das Urteil deutlich gestärkt. Die NUB-Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) kann also nicht hinter verschlossenen Türen entscheiden, der Betroffene ist samt seiner Kasse anzuhören. Der zweite Punkt: Die „vergleichbar schweren Krankheiten“ müssen weiter ausgelegt werden, als das in vielen Bezirken der Kassenärztlichen Vereinigung bislang der Fall war.

Das bedeutet, wenn bestimmte Erkrankungen eines Drogenabhängigen nur behandelbar sind, wenn er substitutiert wird, muß genehmigt werden. Auch wenn diese Krankheiten nicht so schwerwiegend sind wie Aids oder Krebs. Drittens kann bei unberechtigten Ablehungen durch die NUB-Kommission nicht mehr nur der Betroffene, sondern auch die Sozialbehörde dagegen klagen.

Man muß aber immer noch über die Drogensucht hinaus krank sein, um Methadon zu bekommen?

Ja. Die Drogensucht selbst gilt nach der NUB-Richtlinie nicht als Indikation. Deshalb verhandeln wir derzeit mit den Kassen über eine präzisierte Einzelfallindikation, die als freiwillige Leistung über NUB hinausgeht.

Wer ärgert sich denn über das Bundessozialgerichtsurteil?

Wenn sich jemand ärgert, dann all jene Kassenärztlichen Vereinigungen, die bisher restriktiv entschieden haben. Denn künftig werden mehr Substitutionsfälle im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung bezahlt werden müssen.

Aber warum ist die KV dagegen? Weil sie gegen Substitution ist, oder geht es ihr nur ums Geld?

Michael Späth, stellvertretender Vorsitzender der Hamburger KV, hat im „Ärzteblatt“ die Auffassung vertreten, jenseits einer engen NUB-Auslegung solle der Staat zahlen, wenn er Substitution will. Jetzt hat das Bundessozialgericht klar gemacht, daß Methadon im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung in größerem Umfang angeboten werden muß.

Ärzte bekommen also für mehr Leistung das gleiche Geld?

Es kommt eine neue Behandlungsform hinzu, und die muß eben aus dem Budget bezahlt werden. Bei anderen Krankheiten ist das auch so. In der Konsequenz muß der Kuchen auf mehr Behandlungsformen aufgeteilt werden. So ist das Leben.

Herr Späth wirft Ihnen vor, die KV bedroht und erpreßt zu haben.

Ich habe nicht gedroht und nicht erpreßt. Es kann aber nicht angehen, daß die NUB-Kommission, die über Substitution entscheidet, mit in der Suchttherapie unerfahrenen Ärzten besetzt wird und erfahrene Ärzte rauskatapultiert werden. Die BAGS als Aufsichtsbehörde muß fragen, ob das rechtlich in Ordnung ist. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung muß sich darüber hinaus überlegen: Will sie weiter die vertragsärztliche Versorgung für alle Menschen wahrnehmen, die krank sind, oder will sie unliebsame Patienten ausgrenzen.

Wie wird die Methadonvergabe dann in Hamburg aussehen?

Es wird künftig drei Wege zur Methadonvergabe geben: Einmal über die NUB-Richtlinien wie bisher. Dann die Umsetzung dessen, was das Bundessozialgericht über Substitution sagt. Der dritte Weg ist, im Rahmen der freiwilligen Leistungen der Krankenkassen, über NUB hinausgehend Einzelfälle in die Substitution zu nehmen. Diese Einzelfälle müssen näher festgelegt werden. Das eklatanteste Beispiel ist die Mutter, die sechs Wochen nach der Geburt ihres Kindes keinen Anspruch auf Methadon mehr hat. Da wird man nicht sagen können, die soll zurück in die Szene. Fragen: Silke Mertins

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