Aquaplaning der Lachtränen

■ Heute im Schlachthof: Jan Faktor, gebürtiger Prager und zehn Jahre Schlosser im Berliner Kiez, liest „Körpertexte“

“Die Leute trinken zuviel, kommen gleich mit Flaschen an oder melden sich gar nicht oder Georgs Abschiede und Atempausen nach dem verhinderten Werdegang zum Arrogator eines Literaturstoßtrupps“. So weit der Titel des neuen Buches von Jan Faktor, aus dem er am Mittwoch im Schlachthof lesen wird. Im Untertitel werden, vermutlich zur Erleuchtung des Lesers, „Körpertexte, Sprechtexte und Essays“ versprochen. Man merkt es schon bei der Lektüre des Buchcovers, ernst wird die Sprache hier nur als Stilmittel genommen, nicht jedoch in ihrer Bedeutung. Denn was bitte ist ein „Arrogator eines Literaturstoßtrupps“?

Jan Faktors Sprachexperimente geben Rätsel auf, erstaunen den Leser und lösen eine kleine Schrecksekunde später Schmunzeln oder Heiterkeit aus. Der Sprachwitz in seiner ursprünglichen Form und Bedeutung, wie Freud nicht einmal von ihm zu träumen wagte, das scheint das automatische Resultat der Faktorschen Wort- und Lautverschiebungen. Denn in der Experimentierstube geht es, wenn schon nicht um die Erfindung der Welt, dann zumindest um eine Manifestation des Gedichts, die Definition der Lyrik:

„Wir brauchen eine neue lyrik

wir brauchen lyrik nicht nur zum schieben und schmieren

wir brauchen lyrik nicht nur zum aufstehen

wir brauchen lyrik zum durchgreifen“

Seit 1978 lebt der in Prag geborene Jan Faktor in Deutschland. Hier, wo er zehn Jahre lang als Schlosser am Prenzlauer Berg arbeitete, sich mit Übersetzungen den Lebensunterhalt verdiente, eigenen Texte nur noch auf Deutsch schrieb, da die Struktur der bislang fremden Sprache manche Spielerei erst möglich macht. In dieser Zeit gehörte Faktor, an dessen Texten auch seine Frau Anette Simon, die Tochter Christa Wolfs, in der Endfassung mitwirkt, zur Gruppe der Literaten um den Galrev-Verlag und A.S. Anderson. Als er im Sommer 1989 sein erstes Buch veröffentlichte, ist klar, der Faktorsche Entwurf einer experimentellen Lyrik versteigt sich nicht nur in artistische Höhen; er scheut auch nicht das Aquaplaning der Lachtränen. Da wird nicht nur konsequente Kleinschreibung betrieben, die manische Wiederholung des Begriffs „ungesund“ in der Geschichte gleichen Titels legt einen ironischen Unterton nah, der mit formalen Kriterien spielt. Ganz konsequent strukturiert eine Erzählung über die Befreiungs-Kämpfe der Kindheit sich durchaus sportlich: 1. Runde, heißt es zu Beginn. Bei der heutigen Lesung im Schlachthof wird der Ring zur zweiten Runde eingeläutet: Für „Körpertext“ erhielt Jan Faktor 1993 den Kranichsteiner Literaturpreis. „stint“ und „Literaturkontor“ veranstalten die heutige Lesung, bei der aus dem prämierten Band gelesen wird.

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Jan Faktor, Schlachthof, Kesselhalle, um 20.30 Uhr; das neue Buch ist für 29.80 Mark bei Janus-Press /Berlin erhältlich.