: Paradigmenwechsel bei Gericht
■ Neue Serie mit Gütesiegel: Steven Bochcos "Murder One - Der Fall Jessica". Mittwochs, 20 Uhr, Vox
Steven Bochco, das sagt er wörtlich, liebt das Fernsehen. Und er schätzt es als Medium, in dem sich Fiktion und Information publikumswirksam verbinden lassen. Als Autor, Produzent und Mentor hat Bochco maßgeblich zur Entwicklung der Serienunterhaltung beigetragen. Ein nachgerade düsterer Realismus, kombiniert mit sarkastischem Humor, prägte die von ihm und Michael Kozoll konzipierte Serie „Polizeirevier Hill Street“.
Gänzlich anders funktionierte die Anwaltsserie „L.A. Law“: Handlungsorte waren, neben den Gerichtssälen, die eleganten Büros und luxuriösen Behausungen wohlsituierter Anwälte in Los Angeles. Vor diesem glanzvollen Hintergrund aber erhielten gerade jene Rechtsfälle besondere Plastizität, die sich mit den Problemen der Schlechtergestellten befaßten und beispielsweise die Situation der Ureinwohner in den Reservaten, die vorsätzliche Vergiftung südamerikanischer Arbeitnehmer durch US-Konzerne oder berufliche Benachteiligungen brustamputierter Frauen zum Gegenstand hatten.
Nachdem er mit „N.Y.P.D. Blue“ eine zeitgemäße Fortsetzung zu „Polizeirevier Hill Street“ geschaffen hatte und einen großen Erfolg verbuchte, wandte sich Bochco mit der neuen Serie „Murder One“ erneut dem Justizmilieu zu. Auch hier haben sich die Paradigmen gewandelt. Die bestsituierten Protagonisten von „L.A. Law“ genossen ihren Wohlstand, hatten sich indes ungeachtet ihres sozialen Aufstiegs die Ideale der 60er und frühen 70er einigermaßen bewahrt. „L.A. Law“ suchte noch den Ausgleich zwischen dem für die 80er typischen Materialismus und sozialem Engagement. „Murder One“ revidiert diesen Optimismus und zeigt die Anwälte beider Seiten als ambivalente Figuren, die sich vorrangig von Opportunität, wenn nicht gar von Karrieredenken oder persönlichen Animositäten leiten lassen. Vor allem aber reflektiert die Serie die Krise des US- Rechtssystems, das durch Schauprozesse wie das O.-J.-Simpson- Verfahren vollends fragwürdig geworden ist.
Ein solcher Society-Mord steht im Zentrum von „Murder One“. Ein 15jähriges Mädchen ist unter spektakulären Umständen getötet worden. Jessica Costello war seit längerem drogensüchtig und Groupie eines prominenten Schauspielers. Des Mordes verdächtigt wird der Liebhaber von Jessicas Schwester, ein begüterter Lebemann aus dem kalifornischen Jet-set. Die Sozietät des Staranwalts Ted Hoffman übernimmt die Verteidigung des Beschuldigten und gerät damit zwangsläufig ins Kreuzfeuer der Öffentlichkeit. Hoffman wie auch sein Widerpart auf seiten der Anklage verstehen es vortrefflich, die – freilich willigen – Medien zu manipulieren und zu instrumentieren; das Katz-und- Maus-Spiel der animosen Gegenspieler, ihre Kniffe, Finten und Spiegelfechtereien machen den spezifischen Reiz dieser Serie aus.
Neu an „Murder One“ ist die außergewöhnliche Langzeitdramaturgie. Das Verfahren wird nicht, wie bei „L.A. Law“ und anderen Anwaltsserien, in einer Episode abgehandelt, sondern zieht sich über 23 Episoden, die zusätzlich abgeschlossene Subplots beinhalten. Insbesondere rückt das Zusammenspiel des Verteidigerteams ins Blickfeld – vorbei sind die Zeiten, da alerte Advokaten wie „Perry Mason“, „Matlock“ oder „Petrocelli“ ihre Fälle gleichsam im Alleingang lösten. Bemerkenswert auch die Optik der Serie: Im privaten Bereich der Protagonisten agiert die Kamera verhalten, die reduzierte Schnittfrequenz schürt den Eindruck einer „Ruhe vor dem Sturm“. Demgegenüber sind die Szenen, die die Kontrahenten in Aktion zeigen, dynamisch gestaltet und teils an die Ästhetik der Fernsehreportage angelehnt. Bedeutsame Momente und Handlungsumschwünge werden durch stilisierte Bilder sinnfällig akzentuiert. All dies ergibt ein komplexes Erzählschema, das von der ersten Folge an einen gewissen Sog entwickelt und den Zuschauer in seinen Bann zieht. Nicht auszuschließen, daß in Bälde schon kesse Leibchen zur Schau gestellt werden mit dem Aufdruck: „Who killed Jessica Costello?“ Harald Keller
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