: Mißverständlich auf dem Ego-Trip
Mit „Blueprint“ blieben sie in Millionen Hirnen haften. Nun machen sie in kunsthandwerklicher Erinnerung. „Making Memory“ heißt die neue Platte der dt. Pophoffnung Rainbirds ■ Von Gerrit Bartels
Die Rainbirds? Da war doch mal was, die kennt man doch! Und sofort rotiert es in den Hirnwindungen, wird eine bekannte Melodie für Millionen zum Schwingen gebracht. Es passiert nicht allzu oft, daß eine deutsche Band so nachhaltig im Bewußtsein vieler Leute unterschiedlichster Couleur haften bleibt und Déjà-„entendu“- Erlebnisse beschert. Natürlich beruht das auf diesem immergrünen Song, mit dem die Rainbirds seinerzeit die Popwelt hellauf begeistern konnten: Auf „Blueprint“, der Blaupause, auf der damals das Wohl und Wehe „international erfolgreicher deutscher Popmusik“ durchschimmerte.
„Blueprint“ war für die Rainbirds Fluch und Segen zugleich: In der Folge wurde alles, was sie anstellten, auf diese Goldwaage gelegt und zumeist nicht für gut befunden – Popularität, Ruhm und Geld und Aufmerksamkeit jedoch waren Katharina Franck und ihren wechselnden Mitstreitern ohne Unterlaß gewiß.
Katharina Franck, im gediegenen Outfit, unverändert mit Pagenfrisur und diesen kotelettenartigen, nach innen gedrehten Zupfern an den Jochbeinen, meint im Interview, daß sie sich schon lange von der Last, ein Popstar zu sein, freigemacht habe: „Blueprint“ sei eben der Song, der von den meisten Menschen wahrgenommen wurde, „aber keine Bürde, nicht für uns. Die Plattenfirma kam halt gleich in den Genuß, eine Vielzahl von Platten zu verkaufen, und das zu wiederholen war höchstens für die eine Bürde.“
Das war vor Jahren. Mittlerweile sind die Rainbirds ein Trio, besetzt mit Katharina Franck, der Berliner Keyboarderin und Studiomusikerin Ulrike Haage sowie dem Schlagzeuger Tim Lorenz. Das neue Album heißt „Making Memory“ und kommt, nachdem die Rainbirds schon mal probehalber durch kleinere Clubs in Deutschland getingelt waren, bei einer anderen, früher auch „unabhängig“ genannten Plattenfirma heraus. Franck spricht vom „Lauf der Dinge“, vom „gegenseitigen Einvernehmen“, in dem die Trennung von der alten Plattenfirma vollzogen wurde: „Denen fehlte es an Enthusiasmus, die hatten überhaupt kein Verständnis mehr für die Musik, die wir machten.“
Verständnis aber ging nicht nur den Verkaufsspezialisten der Plattenfirma ab, sondern neben dem blueprinthungrigen Publikum auch den sonst wohlgesonnen Beobachtern der Entwicklung von Katharina Franck und ihren Rainbirds. Wo die Rainbirds noch mehr oder weniger erfolgreich als Staffage für ein eingeführtes Produkt herhielten, strebte Katharina Franck eifrig Richtung Hochkultur. Sie bemühte Kurt Weill, Mutter Courage, Leonce und Lena oder musizierte und künstelte bevorzugt bei Stein, einem Theatermusikprojekt von Neubautens F. M. Einheit. Pop oder Prätention, hieß bald die Frage; schneller und folgenloser Konsum oder der Wille zur Kunst, der Anspruch auf Ewigkeit: Mißverständnisse und Irritationen, die neben „Blueprint“ ein neues Markenzeichen der Rainbirds sind.
Für Katharina Franck alles nur eine Frage fehlgeleiteter Rezeption. Sie setzt lieber auf Ego-Tripping, Leidenschaft und das Prinzip Lust: „Warum soll ich mich entscheiden zwischen Popmusik oder Kunst? Ich mache Sachen, die ich mag, und wenn die Leute so unflexibel sind, so verbiestert und verbohrt, und meinen, das eine schließt das andere aus, ist das deren Problem und nicht meines!“ Sie beharrt auf ihrer „bestimmten Form, sich auszudrücken“, auf ihrer Experimentierfreudigkeit: „Wenn ich Bock habe auf einen französischen Text, dann mache ich das, ungeachtet dessen, ob mein Französisch gut genug ist oder nicht!“
Und so wurde auch aus „Making Memory“ nicht bloß simpler Pop-Rock, sondern ein kunsthandwerklich gestricktes Album, das weihevoll angereichert ist mit Dichtung und Kunscht, mit Pessoa gewidmeten Cello-Instrumentals, mit Burroughs-Zitaten oder Zeilen wie „We're only visitors“, die den Weltgehalt des Franckschen Schaffens vermitteln sollen. „Größere Klarheit und Direktheit“ habe sie für dieses Album angestrebt, deshalb auf die sonst hohe Zahl von Gastmusikern verzichtet und sich auf die vorhandenen, durch die drei Bandmitglieder vorgegebenen Strukturen beschränkt, auf Gesang, Gitarre, Schlagzeug und Percussion.
Herausgekommen jedoch ist erneut bemüht wohlfeile Musik, der man die ausgeklügelte Studioarbeit anmerkt, der man die Zwangsjacke von Perfektion und Durchdachtheit übergestreift hat – im Zusammenhang mit Rainbirds- Songs spricht man zumeist gewählt von „Kompositionen“ –, eben Musik, die mehr sein will als profanes Schlagergut.
Manchmal aber versucht selbst Franck, sich locker zu machen, sich zu lösen von ihren selbstgestellten Vorgaben: Visionen von Freiheit und Unabhängigkeit tauchen dann auf, nicht zu Hause, in echt und draußen, sondern mittels der beliebten Träume: „Dreams are very important, more than that is what I make of them ... dreams that are absolutely free, these things don't usually happen upon me.“ Oder sie versetzt sich in die Neugier, Rastlosigkeit und unbefleckte Entdeckungsfreude eines kleinen Kindes, aus dessen Perspektive sie den Opener „With a Smile“ geschrieben hat.
So richtig unerträglich leicht will ihr dabei aber trotzdem nicht werden, zu sehr müht sie sich mit ihrer Erinnerungsarbeit, mit ihren Entdeckungsreisen in weitverzweigte Bezirke der Seele ab (aber bitte nicht in ihre Abgründe, um den Geschmack von Freiheit und Abenteuer nicht allzu faulig werden zu lassen): Wer das doof, weil prätentiös findet, hat selbst schuld; selbst einem Kinderabzählreim könne man schließlich nicht zu vernachlässigende Wahrheiten abpressen. „Deckungsgleichheit mit den Gedanken und Gefühlen meiner Zuhörerschaft“, weiß Katharina Franck, „ist so oder so selten zu erzielen“, aber als „Projektionsfläche“ für vielfältige Interpretationen sollten ihre Songs zumindest dienen.
Rainbirds: Making Memory (Our Choice/Rough Trade)
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