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"Das ganze System verkaufen"

■ Es lebt sich sehr gut zwischen den Welten: Ambient hat er im Krankenbett erfunden, an Punk mochte er den Dilettantismus. Heute läßt der britische Pop-Avantgardist Brian Eno seine "Generative Music" vollständig

taz: Sie haben bei Roxy Music gespielt, später Punk, Talking Heads und U 2 produziert. Trotzdem werden Sie als Ambient- und E-Musik-Komponist akzeptiert. Wie geht das zusammen?

Brian Eno: Ich kann mich eben nicht entscheiden. Meine ersten Gehversuche in der Musik kamen aus dem Experimentierfeld der sechziger Jahre. Damals gab es Leute wie John Cage, Cornelius Cardew oder Gavin Bryars, die an Kompositionen arbeiteten, die jeder spielen konnte. Gleichzeitig ging diese Bewegung von den Kunstschulen aus, an denen solche Musiker unterrichten durften, und nicht von den Konservatorien. Die Musikschulen hatten nicht das geringste Interesse an den neuen Strömungen. Für sie war das alles nur dummes Zeug. Das wiederum hatte andere Vorteile: Englische Kunstschulen genossen immer den Ruf, trendy und poporientiert zu sein. Dort wurde Stil definiert. Der Unterschied lag im Publikum: Für die eine Richtung fand man vielleicht 30 Interessierte, für die andere 30.000.

Im Jazz ging es Musikern wie Archie Shepp ähnlich: Während er an freier Improvisation für die schwarze Bürgerrechtsbewegung arbeitete, tanzten die Leute zu Sly & The Family Stone. Hatten Sie mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen?

Auch ich hätte Sly & The Family Stone vorgezogen. Menschen hören doch aus völlig verschiedenen Gründen Musik. Bei der experimentellen Musik waren es nicht die Erfahrungen beim Hören, die mich faszinierten, sondern wie sich dadurch das Denken veränderte. Cage, Cardew oder Christine Woolfe hatten Ideen, die nur die Form von Musik annahmen. In ein solches Konzert kam man mit einer bestimmten Erwartungshaltung – sicher nicht zum Tanzen. Am Ende ging es auch mit Ambient darum, herauszufinden, welche Erfahrungen man mit Musik überhaupt machen wollte. Es war nicht einmal schwer, so etwas zu erfinden.

Wie sind Sie überhaupt auf das Konzept von Ambient gekommen?

Ich hatte damals einen Unfall gehabt und konnte für längere Zeit mein Bett nicht verlassen. Eine Freundin kam zu Besuch und legte beim Abschied eine Platte mit Harfenmusik auf. Die Musik war viel zu leise, ich konnte kaum etwas hören, außerdem regnete es draußen. Hätte ich aufstehen können, wäre ich sofort zum Plattenspieler gerannt und hätte die Lautstärke aufgedreht. Aber es ging nicht. Also mußte ich mich damit abfinden, und nach einer Weile hatte ich mich ganz auf das Wechselspiel aus Regen und den kaum hörbaren Harfen eingestellt. Es war eine völlig neue und aufregende Sache – Musik, die kurz vor dem Verschwinden entsteht. Deshalb habe ich später auf Gesang verzichtet. Stimmen sind schwer zu ignorieren. Ich wollte aber Stücke komponieren, die ohne Personen auskommen – was für mich nicht bedeutet, unpersönliche Musik zu machen.

Das klingt dennoch nach einer sehr privaten, sehr intimen Angelegenheit. War nicht auch ein bißchen Trotz im Spiel – gegen den Stadien- und Spektakelrock der siebziger Jahre?

Ich halte mich aus der Musik raus, damit die Leute nicht mir, sondern der Musik zuhören. Sie soll auf keinen Fall eine Projektionsfläche für mein Ego sein. Die Leute sollen allein die Musik als Abenteuer empfinden.

Dabei hätten Sie selbst ein Rockstar werden können.

Was für ein schrecklicher Gedanke, dann müßte ich mir heute Haare transplantieren lassen!

Statt dessen spielt Ihre „Generative Music“ in einer Kirche?

Mich interessiert das Prinzip. Vor 100 Jahren war niemand in der Lage, ein Musikstück zweimal auf die gleiche Weise zu hören. Selbst Beethovens Fünfte Symphonie unterschied sich von Version zu Version. Außerdem war das Hören stets an den Ort und die Zeit des Konzerts gebunden. Mit der Schallplatte änderte sich das Verhältnis: Man konnte zwar die Musik mit zu sich nach Hause nehmen und über die Zeit des Abspielens verfügen. Dafür war die Musik immer dieselbe, eine Reproduktion. Das hatte Vorteile und konnte eine ganz neue Kunstform etablieren, so wie Film neben dem Theater. „Generative Music“ besitzt etwas von beiden Formen: Keine Klangkombination wiederholt sich jemals wieder, aber die Musik läßt sich an jedem beliebigen Ort und Zeitpunkt reproduzieren. Es ist eine Platte, die sich niemals wiederholt.

Nur braucht dafür jeder einen Computer?

Bloß einen sehr einfachen. Ich könnte mir vorstellen, daß irgendwann alle einen kleinen „Generative-Music-Player“ besitzen. Man könnte das ganze noch mit einem Sampler verbinden, dann lassen sich statt der synthetischen Klänge auch Stimmen oder andere Instrumente abspielen. Die Bandbreite ist sehr groß. Doch das ist eher eine Idee am Rande. Mir geht es um folgendes: Bislang konnte ich lediglich Produkte abliefern. Eine Stunde Musik, mehr nicht. Aber ich wollte den Leuten am liebsten immer gleich das ganze System mitverkaufen. Statt einer fertigen Tonkonserve kann man nun die Quelle haben, aus der sich die Musik selbständig entwickelt.

Verabschieden Sie sich damit nicht vom autonomen Künstler?

Ich rede ja nicht davon, daß jeder die Dinge verändern will. Also bleibt der Posten des Künstlers nach wie vor erhalten. Auf der anderen Seite gibt es nichts, was ich so sehr hasse wie interaktive Musik. Die Entscheidungsmöglichkeiten in diesem Medium sind für den Nutzer praktisch gleich Null – als würde man jemandem eine Fernbedienung in die Hand drücken und erklären: Aufgepaßt, das ist jetzt interaktives Fernsehen. Interaktion braucht ein vernünftiges Maß an Handlungsspielraum. Natürlich kann man eine CD-ROM auf den Markt bringen, durch die sich die Nutzer dann durchklicken, aber das ist nicht interessant. Man kann daran überhaupt nichts lernen. Ich halte es für sehr viel spannender, wenn derjenige, der das Medium benutzt, selbst zum Künstler oder Komponisten wird.

Stört es Sie nicht, daß die technischen Neuerungen, von denen Sie sprechen, in erster Linie auf wissenschaftliche, industrielle und militärische Entwicklungen zurückgehen? Hängt der Computer- Künstler nicht doch bloß von fremden Interessen ab?

Natürlich sind all die im Recht, die bei Computern skeptisch sind. Mir geht es genauso, allein schon, weil die Technologie noch lange nicht ausgereift ist. Man muß sich doch nur die pickligen 19jährigen Jungs anschauen, die an den Programmen arbeiten. Von denen kommt doch niemand auf die Idee, einen Computer etwa für vollbeschäftigte Hausfrauen zu entwickeln.

Mich interessieren Dinge, die etwas bewegen. Das hat nichts mit Kommunikation oder der Verbreitung von irgendeiner Botschaft zu tun. Man gibt den Menschen Werkzeuge in die Hand, und die Werkzeuge, die ich herstelle, dienen dem Verstand. Das mag lustig klingen, aber ich produziere Konzepte für andere, das ist mein Job. Nur nehme ich niemanden bei der Hand und führe ihn durch diese Erzählungen. Es ist wie bei sportlichen Übungen: Im Training stellt man plötzlich fest, daß man Muskeln an Stellen besitzt, wo man sie gar nicht vermutet hätte. Ich glaube, das gilt auch für unser kulturelles Potential. Die Wissenschaft hat im Gegensatz zur Kultur einen sehr geringen Einfluß, Veränderungen hängen viel mehr von Soap-operas, Fashion, Musik und moderner Kunst ab, von den weniger präzisen Dingen des Lebens. Sie geben einem zumindest das Gefühl, für einen Augenblick in eine andere Rolle schlüpfen zu können. Mich erinnert es an die Art, wie Kinder lernen. Sie geben vor dies oder das zu sein, ein Arzt, eine Krankenschwester, Cowboy oder Köchin. Danach schaffen sie sich ihre Situationen. So arrangieren wir uns auch mit Kulturen. Deshalb ist Kunst nie wirklich gefährlich. Sie läßt einen in den Abgrund gucken, ohne springen zu müssen. Es gibt sicher auch Leute, die zum Springen raten. Aber ich bin doch nicht verrückt, ich will leben.

Popstars empfinden die Zusammenarbeit mit Ihnen ganz anders: David Bowie meinte, Sie würden den Alltag zur Kunst erklären, während er die Hochkultur zurück auf die Straße trägt.

Ja, das ist eine merkwürdige Äußerung. Ich habe auch keine Ahnung, was er damit meint. Ich erkläre den Leuten immer, daß mein Job aus Import und Export besteht. Wenn ich mich als Musiker ausgebe, habe ich meinen Sitznachbarn am Hals, der mir von der Band seines Schwagers erzählen würde. Als Geschäftsmann lassen sie einen im Flugzeug in Ruhe. Und zweitens stimmt es ja auch: Ich handle mit Ideen. Interview: Harald Fricke

„Generative Music 1“ ist über SSEYO Ltd., Pyramid House, Easthampsted Road, Bracknell, als Koan-Software erhältlich.

Die Klanginstallation ist bis zum 8. 4. in der Berliner Parochialkirche zu sehen; „Music for Airports“, bis 8. 4., Flughafen Tempelhof.

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