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Ein Wahnsinn, was das britische Rindvieh kostet

■ Notschlachtungen in den Niederlanden beginnen, der Fleischabsatz bricht überall zusammen, auch der Präsident des Deutschen Bauernverbandes fordert Entschädigungen

Brüssel (AP/dpa) – Die Agrarminister der EU treffen sich heute zur Krisensitzung. Auf der Tagesordnung steht der Wunsch Großbritanniens, das Exportverbot für Rindfleisch möglichst schnell wieder aufzuheben. Aber auch der britische Landwirtschaftsminister Douglas Hogg gibt zu, daß „noch viel getan werden muß“, um die Gefahr durch die Rinderseuche BSE zu bannen. Er hat recht. Sogar der Verband der Kosmetikindustrie in der EU beschloß eine Empfehlung an seine Mitglieder, auf britischen Rindertalg in ihren Produkten zu verzichten.

Douglas Hogg hofft trotzdem immer noch, daß nicht der gesamte britische Rinderbestand notgeschlachtet werden muß. Ausschließen kann er es aber nicht mehr. „Wenn die Wissenschaftler sagen, daß dies die einzige Lösung ist, werde ich zustimmen“, sagt unter anderen auch Frankreichs Agrarminister Vasseur.

In diesem Fall würden auf alle EU-Staaten hohe Ausgleichszahlungen zukommen – auf dem Turiner Sondergipfel hatten die Staatschefs der Londoner Regierung ihre volle Solidarität zugesichert.

Nach Tisch begann der Streit sofort von neuem – nur geht es jetzt weniger um die Gesundheit als ums Geld. In Deutschland sank der Absatz von Rindfleisch um etwa 60 Prozent. Bauernverbandschef von Heeremann forderte umgehend eine Entschädigung, und Außenminister Kinkel räumte in einem Interview ein, daß es den „Euro- Verdruß“ steigern könnte, wenn deutsche Steuerzahler für Großbritannien zahlen müßten.

In Großbritannien selbst rechnete der Sunday Telegraph vor, daß die EU-Hilfe ein in Wahrheit finanzieller Verlust wäre: Nach vorläufigen Schätzungen würde die Vernichtung der britischen Rinderherde mehr als fünf Milliarden Mark kosten. Und zumindest indirekt müßten die Briten dafür mitbezahlen: Sollte Brüssel das große Rinderschlachten unterstützen, würden nach Meinung der Zeitung in den nächsten Jahren ein Teil jener Rückzahlungen entfallen, die Premierministerin Margaret Thatcher einst als Ausgleich für britische Gemeinschaftsleistungen ausgehandelt hatte. Daraus zog die britische Supermarktkette „Sainsbury‘s“ ihren eigenen, insularen Schluß: Sie halbierte den Rindfleischpreis und erlebte einen Run auf ihre Kühltruhen.

In den Niederlanden beginnt die Notschlachtung von rund 64.000 Rindern aus Großbritannien in dieser Woche. Der Schaden wird auf umgerechnet 49 Millionen Mark geschätzt. Aus der Schweiz werden zwei neue BSE-Fälle gemeldet. Ohne EU-Solidarbeitrag werden dort die Notmaßnahmen eine Milliarde Franken kosten, schätzen Experten.

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