piwik no script img

Große Ratlosigkeit an einem Denk-Ort

■ Dem Bezirksamt Mitte fehlt das Geld, um die von der Senatsbauverwaltung bereitgestellte Ersatzplatte für das Denkmal für die Bücherverbrennung einzubauen

Die Stirn in Falten gelegt, die Augen angestrengt nach unten gerichtet, versucht eine Gruppe französischer Jugendlicher dem Geheimnis der beschlagenen Glasplatte auf dem Bebelplatz auf die Spur zu kommen. Einige versuchen die milchige Schicht wegzuwischen. Vergebens. Wie eine dicke Eisschicht liegt die ehemals durchsichtige Glasplatte da. Ein Jugendlicher springt hoch und knallt mit seinen derben Schuhen auf die Platte. Stabil scheint sie zumindest zu sein. Doch was sich unter ihr verbirgt, hätten die Franzosen wohl nie erfahren, wenn ihnen die Stadtführerin nicht die Inschrift wenige Meter entfernt übersetzt hätte: „Bibliothek“ Denkmal „Die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933“ steht neben dem Zitat von Heinrich Heine aus dem Jahre 1820: „Nur dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“

Das Denkmal des israelischen Künstlers Micha Ullman, das in seiner bestechenden Unauffälligkeit ein „Denk-Ort“ für die Opfer des Naziterrors sein soll, sorgt in seinem jetzigen Zustand für Ratlosigkeit. Dem Unkundigen ist es selbst überlassen, woran er angesichts der trüben Scheibe denkt. Wären die Touristen vor einem halben Jahr gekommen, hätten sie nicht nur sehen können, wie sich die Umrisse der Prachtbauten des Bebelplatzes in der gläsernen Platte spiegeln. Sie hätten durch die Platte hindurch auf leere Bücherregale blicken können. Bücherregale, die Platz für 20.000 Bücher bieten. 20.000 Bücher, die vor fast 63 Jahren auf dem Platz verbrannt worden sind.

Aus Gründen, die auch der Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen unerklärlich sind, hat sich die etwa einen Meter mal einen Meter große Glasscheibe milchig weiß gefärbt und ist dadurch undurchsichtig geworden. Das Glas sei damals das stabilste und härteste auf dem Markt gewesen, versichert Bernd-Michael Agtha von der Senatsbauverwaltung. Doch in der Praxis habe sich „das technisch Beste“ nicht bewährt. Als „jämmerlich, kläglich und beschämend“ hat der Bund der Steuerzahler bereits vor einigen Wochen den Zustand des Denkmals bezeichnet. Solange kein besseres Glas ausgetüftelt werde, meint Aghta, müßte die Platte theoretisch dreimal im Jahr ausgewechselt werden.

Für diesen Fall war bereits bei der Einweihung des Denkmals im März letzten Jahres Vorsorge getroffen worden, als dem Bezirksamt Mitte, das für den Unterhalt zuständig ist, eine Ersatzplatte übergeben wurde. Agtha vermutet, daß das Tiefbauamt diese wegen fehlender Bauunterhaltungsmittel bisher nicht eingesetzt hat. Die Senatsbauverwaltung überlegt nach seinen Angaben, ob das Bezirksamt mit seinen leeren Kassen nicht vom Unterhalt entbunden wird. „Denn einer muß das machen“, sagt Agtha. Barbara Bollwahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen