: Wiedersehen am Rothenbaum
■ Doku: „Die Befreiung des Reichssenders Hamburg“, Ostermontag, 23.55 Uhr, N3
Erst erklang die Melodie des englisen Lieds „Land Of Hope And Glory“, dann die Stimme des 23jährigen Geoffrey Perry, einst in Berlin geboren, jetzt in der Uniform eines Leutnants der britischen Rheinarmee: „This is Radio Hamburg, a station of the Allied Military Government...“ Es war 7 Uhr abends, am 4. Mai 1945 – die Geburtsstunde des neuen, freien Rundfunks in Deutschland, noch bevor das faschistische Nazi-Regime kapituliert hatte.
Daß sie so frühzeitig und in der zerbombten Elbmetropole schlug, ist der britischen Befreiungsarmee respektive jenem Leutnant Perry und seinem ebenfalls deutschstämmigen Nachfolger, Captain Everitt, zu verdanken. Sie fanden das Funkhaus an der Rothenbaumchaussee (heute noch Sitz des NDR) ebenso wie den Sendemast im Stadtteil Moorfleet unversehrt vor, drehten dieser einzigen noch funktionierenden Station des nationalsozialistischen „Reichsrundfunks“ einfach nur den Strom ab – und gingen kaum 23 Stunden später selbst auf Sendung.
Daß sie unter der Ägide der Briten schlug, ist ein Glücksfall. Denn die jungen Männer, die dabei zu Werke gingen, fühlten sich den Tugenden des fairen, freiheitlich-demokratischen britischen Journalismus verpflichtet. Sie verstanden sich eher als Geburtshelfer einer ebensolchen Rundfunk- und Pressekultur im künftigen Deutschland denn als Okkupanten und Zensoren. So war „Radio Hamburg“ von Anfang an weniger Organ des britischen Militärs denn journalistische Institution für die dessen völlig entwöhnte Bevölkerung.
Daß die FernsehzuschauerInnen nach mehr als 50 Jahren jetzt erstmals etwas von dieser Pioniergeschichte zu Gesicht kriegen, ist dagegen beinahe Zufall. Als sich mit Christian Herrendoerfer wenigstens einer im deutschen Fernsehen dafür interessierte, scheiterte dieser zunächst – am Programmdirektor. Der habe „erst nach großen Schwierigkeiten“, so Herrendoerfer bei einer Preview seiner 90-Minuten-Dokumentation, ein Budget für das Projekt genehmigt.
So hat der Sendeplatz, der dem Film nun für Ostermontagnacht zugewiesen wurde, obwohl vermutlich unfreiwillig, etwas Symbolisches: Es war tatsächlich „fünf Minuten vor zwölf“. Bald könnte gar keiner mehr erzählen, wie das damals war, denn von den Akteuren des demokratischen Neuanfangs im Rundfunk leben nur noch wenige Hochbetagte. Die damaligen Presseoffiziere Perry und Everitt konnte Herrendoerfer in London und New York aufspüren. Von den allerersten Deutschen am Nachkriegs-Mikrophon leben nur noch Peter von Zahn und Gregor von Razzori. Ulla Küspert
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