: "Unabomber" vom Bruder angezeigt
■ Ein 53jähriger ehemaliger Mathematikprofessor soll der "Unabomber" sein, der durch Brief- und Paketbomben und ein technologiefeindliches Manifest in den USA auf sich aufmerksam gemacht hatte
Washington/Helena (dpa/AFP/ wps) – Fahndungserfolg in den USA: Am Mittwoch abend ist in der Nähe von Lincoln/Montana ein Mann festgenommen worden, den die Ermittler für den mysteriösen „Unabomber“ halten. Der 53jährige Theodore Kaczynski, ein ehemaliger Mathematikprofessor an der Universität von Berkeley, wird beschuldigt, bei 16 Briefbombenanschlägen drei Menschen getötet und 23 weitere verletzt zu haben. Laut Anklageschrift wurden bei der Durchsuchung seines Hauses chemische Produkte und andere Materialien zur Herstellung von Sprengkörpern gefunden. Der mutmaßliche „Unabomber“ soll fünf weitere Bomben vorbereitet haben, um seinen Kreuzzug gegen die moderne Technik fortzusetzen, versicherte am Donnerstag ein FBI-Mitarbeiter in Helena im Bundesstaat Montana.
Die Nachforschungen in der kleinen Blockhütte, die Kaczynski in den frühen siebziger Jahren selbst gebaut hatte, gehen nur langsam voran, da die Untersuchungsbeamten in den über 40 Paketen, die sich in der Hütte stapeln, noch mehrere Sprengsätze vermuten. Bei Röntgendurchleuchtungen einiger Pakete seien bereits unfertige Rohrbomben identifiziert worden, teilte das FBI mit. Außerdem hätten die Ermittler zwei Schreibmaschinen gefunden, auf denen vermutlich das 35.000 Wörter starke Manifest getippt wurde, in dem der Unabomber seinen Kampf gegen die technisierte Welt begründet hatte (s. Kasten).
Seit 1978 beschäftigte der Bombenbastler eine mehr als 100köpfige Sonderkommission. Das FBI hatte für Hinweise zu seiner Ergreifung eine Belohnung von einer Million Dollar (rund 1,47 Millionen Mark) ausgesetzt. Auf einer eigens eingerichteten Telefonhotline gingen insgesamt mehr als 20.000 Hinweise ein. Die heiße Spur zum ehemaligen Professor lieferte sein Bruder. Nachdem im September vergangenen Jahres die beiden Tageszeitungen Washington Post und New York Times das technikfeindliche Manifest des Bombenlegers veröffentlicht hatten, entdeckte der 42jährige David ähnliche Schriftstücke Kaczynskis im Haus seiner Eltern und zeigte seinen Bruder an.
Die Jagd auf den „Unabomber“ hatte im Mai 1978 begonnen, nachdem ein Wachmann verletzt wurde, der ein verdächtiges Paket auf dem Schrottplatz der Chicagoer Universität öffnen wollte. In den frühen Achtzigern entfaltete der Bomber seine größte Aktivität. Allein 1985 verschickte er vier Bomben an Universitäten, Fluglinien und Computerläden. Im Dezember 1985 forderte die Bombenserie ihr erstes Todesopfer: Ein Computerhändler in Sacramento/ Kalifornien wollte ein Paket aufheben, das vor seiner Hintertür lag. Es explodierte und tötete ihn.
FC: „Fucking Crazy“, meinen die Ermittler
Die Nachforschungen steckten in einer Sackgasse. Die Ermittler hatten keine heißen Spuren. Die Einzelteile für die Bomben waren in akribischer Feinarbeit selbst gebaut. Selbst die Zündschalter fertigte der technisch versierte Bombenleger in Heimarbeit. Einziges Merkmal war ein Monogramm, das er selbstbewußt in die Metallteile der Sprengkörper stanzte: FC. Aber auch dies half den FBI-Spürhunden nicht. Einzige Erklärung für die Initialien sei ein „Fucking Crazy“, bemerkte ein Ermittler.
Im Frühjahr 1987 kamen sie denoch nah an ihn heran. Eine Frau hatte gesehen, wie ein Mann in einem abgetragenen Sweatshirt eine Tasche mit ein paar Holzlatten hinter einem Computerladen in Salt Lake City abstellte. Minuten später explodierte dort eine Bombe und verletzte den Inhaber des Ladens. Das FBI konnte ein Phantombild nach den Beschreibungen der Frau anfertigen und veröffentlichte es in aller Welt. Es gab Tausende Anrufe und Hunderte Hinweise, aber nach einiger Zeit verliefen alle Spuren im Sand. „Es gab dann nichts weiter zu tun, als sich zurückzulehnen und auf die nächste Spur zu warten.“
Doch der „Unabomber“ schwieg sechs lange Jahre. Schon glaubten die Ermittler, daß er vielleicht wegen einer anderen Straftat im Gefängnis sitze oder das Land verlassen habe, da schlug der Bomber 1993 wieder zu: Zwei Wissenschaftler an den Universitäten San Francisco und Yale wurden durch Paketbomben verletzt. Die Wende brachte das Manifest im Juli 1995. Trotz harscher Kritik brachte das FBI die beiden Zeitungen dazu, das Pamphlet zu drucken. Der „Unabomber“ hatte angekündigt, im Falle eines Abdruckes von weiteren Anschlägen abzusehen. Er hat Wort gehalten.
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