: Das Gefühl von Bremsflüssigkeit
Zum Erfinder muß man nicht geboren sein, man kann es lernen. Mit dieser Einsicht wollen Ostingenieure die Wirtschaft voranbringen. Die Wiederbelebung von Erfinderschulen ■ Aus Berlin Matthias Urbach
Sie konstruieren Briefumschläge, die nicht reißen, Glühbirnen, die nicht durchbrennen, und den geruchsfreien Bauernhof. Sie tummeln sich auf Messen und gehen bei Unternehmen hausieren: Erfinder. Wir sehen sie gern als liebenswerte Spinner, die ihre Kreationen plötzlichen Eingebungen verdanken.
Ist Erfinden also schlicht eine Begabung? Ein Naturtalent? Nein, man kann es lernen. In der DDR entwickelte eine Reihe von Ingenieuren Anfang der Achtziger eine Methodik des Erfindens. In zweiwöchigen Projekten vermittelten sie diese Methodik an Ingenieurteams in den Kombinaten – in sogenannten „Erfinderschulen“. Hunderte von Patenten entstanden aus diesen Veranstaltungen. Aber mit der Wende gingen sie verschütt.
Vergangenen Mittwoch versammelten sich in der Berliner Stadtbibliothek etwa achtzig Erfinder, Professoren und Unternehmer, überwiegend aus dem Kreis der Erfinderschulen, zu einem eintägigen Workshop. Ihr Ziel: Das ostdeutsche Konzept der Erfinderschulen wiederzubeleben und in die Wirtschaft zu tragen. Dazu sollen weitere Workshops in anderen Bundesländern folgen. „Wir wollen ein Netzwerk von Erfindern knüpfen“, sagt Workshopleiter Klaus Brandenburg von der landeseigenen Technologie- und Innovationsagentur Brandenburg. Erfinden ist für ihn eine „nationale Aufgabe“ zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. So preist Brandenburg das organisierte Potential als „die Brautgabe der DDR zur Wiedervereinigung“ an.
Allerdings kamen schon in der DDR die Erfinderschulen nicht so recht aus dem Pilotstadium heraus. Kreative Querdenker paßten den Parteioberen nicht ins Konzept. Außerdem haftete den Schulen der Makel an, daß sie keine Erfindung der Staatsführung waren. Doch die Methode funktioniert. Das Zauberwort heißt: „Widerspruchsorientiertes Erfinden“. Entscheidend ist das exakte Formulieren des Ziels und der Widersprüche zwischen diesem Wunsch und der Realität. Schon Goethe wußte: „Wenn du eine weise Antwort verlangst, mußt du vernünftig fragen.“
„Wir schrauben die Anforderungen an das Produkt so lange hoch, bis es scheinbar keine Lösung mehr gibt“, erklärt Hansjürgen Linde, Professor für Innovationstechnik an der Fachhochschule Coburg und Träger der DDR- Auszeichnung „verdienter Erfinder“. „Statt den Konkurrenten hinterherzulaufen, suchen wir die erfinderische Abkürzung.“ Ist das Ziel erst genau formuliert, bietet die Methodik eine Reihe von systematischen Suchstrategien, die zur Lösung führen: zum Beispiel durch Vorbilder in der Natur oder in anderen Sparten. So klärt sich etwa die Frage, wie man Unfälle auf Feuertreppen von Hotels vermeiden kann, durch einen Blick in die Luftfahrt: Flugzeuge werden schon lange über Rutschen evakuiert.
Linde will das gängige Bild vom Erfinder als genialen Einzelgänger revidieren: Er setzt auf bunte Teams aus verschiedenen Disziplinen, die sich gegenseitig befruchten können. Wesentlich sei dabei eine geschickte Moderation der Gruppe. Außerdem tüftelt er immer an konkreten Problemen in den Unternehmen, „sonst gehen die meisten Neuerungen am Markt vorbei, und die Erfinder fühlen sich unverstanden“.
An seinem Lehrstuhl arbeitet Linde systematisch an der Theorie des Erfindens – „noch sind wir die einzige Hochschule“. So moderierte Linde 1993 ein Team von Entwicklern aus verschiedenen Disziplinen bei BMW in München. Sie sollten die Bremsen verbessern. Aus einem Rollenspiel („Wie fühle ich mich als Bremsflüssigkeit bei der Abfahrt vom Groß-Glockner?“) und harter methodischer Arbeit entstanden drei Patente, die inzwischen in Serie gegangen sind. Dabei sei es anfangs nicht leicht gewesen, erzählt BMW-Projektingenieur Reinhard Drews, das methodische Erfinden gegen „Platzhirsche“ durchzusetzen – „die meinten, schon alles zu wissen“. Moderatoren im Geiste der Erfinderschulen könnten die Produktentwicklung ähnlich auf Trab bringen wie ein Unternehmensberater die Bilanz.
Ein Hauch von DDR-Nostalgie wehte durch den Workshopsaal: Die Teilnehmer schwärmten von den Erfinderschulen als dem „Silbernen aus der DDR“. Doch noch sind Beispiele wie BMW rar. Wie also weiter? „Jammern hilft nichts, die müssen ihre Methodik marktfähig machen“, urteilt Drews.
Davon waren die Teilnehmer des Workshops allerdings noch Lichtjahre entfernt. Jeder kämpft für sich. Um die Idee der Erfinderschulen auf breiter Front in die Wirtschaft zu tragen, bedarf es wohl noch eines erfinderischen Geistesblitzes.
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