Kampf hinter der Berliner Mauer

■ Nach zwei Verbrechen will Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) die größte Wagenburg der Stadt schleunigst räumen

In Berlin tobt der Streit um die Wagenburgen. CDU-Innensenator Jörg Schönbohm will zumindest die Bauwagen hinter der East Side Gallery im Bezirk Friedrichshain nahe dem Hauptbahnhof räumen lassen – wegen der „kriminellen Gefährdung“. Der Anlaß: Am Sonnabend vor Ostern wurde ein 19jähriger Mann auf dem Gelände erstochen, drei Tage später ein 18jähriger Tourist mit einer glühenden Eisenstange niedergeschlagen.

Daß es im Falle einer Räumung für die Bewohner keine Ersatzfläche gibt, interessiert Schönbohm dabei seit vorgestern nicht mehr. Bisher gilt noch die Senatslinie, nur dann zu räumen, wenn es einen Ersatzstandort gibt. So steht es in der Koalitionsvereinbarung. Daran waren Umsiedlungen in der Regel gescheitert, denn kein Bezirk ist bereit, Plätze zur Verfügung zu stellen.

Doch schon in der Koalitionsvereinbarung von 1992 waren SPD und CDU sich einig, sämtliche acht „Rollheime“, wie die Bewohner ihre Wagendörfer nennen, an den Stadtrand zu verlagern. Während es mit sieben Rollheimen keine Probleme gibt, ist die Siedlung an der East Side Gallery – einem ehemaligen Stück Mauer – für den Bundesgrenzschutz (BGS), der den Hauptbahnhof überwacht, ein „erhebliches Sicherheitsproblem“: 50 Prozent der dortigen Straftaten stünden im Zusammenhang mit der Wagenburg. Das sieht eine Bewohnerin freilich anders. „Die nicht zu rechtfertigende Gewalt an der East Side ist nur ein Symptom für die Gewalt in der Stadt.“ Insgesamt 200 Wagen mit 250 Rollheimern stehen inzwischen zwischen den graffitibesprühten Resten der Berliner Mauer und dem Spreeufer, darunter Bewohner aus zwei geräumten Wagenburgen. Unter ihnen sind viele, die auch unter Rollheimern als schwierig bekannt sind und auf anderen Plätzen abgelehnt wurden. „Daß es zwischen so vielen unterschiedlichen Menschen zu Problemen kommt“, meint die Rollheimerin, „kann niemanden wundern.“

Der Bundesgrenzschutz beklagt, er könne Straftäter oft nicht stellen, weil sie in die Wagenburg flüchteten. Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU) widerspricht dem jedoch: Die Beamten hätten die Situation stets im Griff. Erst letzte Woche wurden sechs Menschen auf dem Gelände festgenommen – ohne Probleme. Böse erklärte noch in der vergangenen Woche gegenüber der Welt, daß es keine Handhabe zur Räumung gebe. Seinen Vorgesetzten Schönbohm scheint das allerdings nicht zu stören. Die wirklich entscheidende Frage hat er bisher nicht beantwortet: Wohin mit den 250 Leuten? Die Bauwagen kann er verschrotten lassen, die Bewohner nicht. Matthias Urbach