: Semantische Hürden
■ Prozeß gegen Redakteurin des „Angehörigen Info“ wird fortgesetzt
Wird der Widerstand gegen das System der BRD nun „gebrochen“ oder „zerschlagen“, „vernichtet“ oder „eliminiert“? Und wie strafbar ist welche Äußerung? Richterin Ulrike Weintraud hatte gestern einige grammatikalische und semantische Hürden zu nehmen.
Angeklagt ist Christiane Schneider, verantwortliche Redakteurin des Angehörigen Infos, einer monatlich erscheinenden Druckschrift des Hamburger GNN-Verlags mit Sitz in der Palmaille, die sich aus Beiträgen aus dem SympathisantInnen-Spektrum der RAF und anderer politischer Gefangener speist.
Wegen eines Texts im Info vom Mai 1995, in dem die Ex-RAF-Gefangene Gisel Dutzi den BRD-Rechtsstaat als „konstruiert“ bezeichnet und faschistische Kontinuitäten in der BRD feststellt, ist gegen Schneider ein Strafbefehl nach § 90 Strafgesetzbuch ergangen: Beschimpfung und Verächtlichmachung der Bundesrepublik.
Schneider kritisierte die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft als vorsätzlich verzerrend und polemisierend; die Textstellen, an denen sich die Staatsanwaltschaft aufhänge, entsprängen linker Theoriebildung der Frankfurter Schule und seien in anderen Kontexten nicht geahndet worden. Ihr Anwalt Joachim Blau legte nach: Dutzis Äußerungen fielen unter den Schutz der Meinungsfreiheit – „die Ansicht, daß der bundesrepublikanische Rechtsstaat nicht das herrschaftsfreie Gebilde ist, in dem nur die Sonne scheint“, sei unter Artikel 5 des Grundgesetzes vertretbar.
Die Richterin zauderte: Aber wenn da stehe, daß in der BRD Widerstand vernichtet werde, beziehe sich das doch auf faschistische Mordpraktiken? Insgesamt bewältigte sie den Einführungskurs in linksradikale Metaphorik eher mangelhaft. Der Prozeß wird am 22. April fortgesetzt.
Ulrike Winkelmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen