Ein Paß geht auf Reisen

■ Behörden verhindern freiwillige Rückkehr eines Vietnamesen

Berlin (taz) – Exakt 30.252 Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr auf dem Luftweg in ihre Heimat abgeschoben worden. Für 1996 hätte der Vietnamese Nguyen van Hung die Bilanz gern verringert: Der ehemalige DDR-Vertragsarbeiter will auf eigene Kosten in seine Heimat zurückkehren, doch die deutschen Behörden lassen ihn nicht.

Anfang des Jahres forderte die Rostocker Ausländerbehörde Hung zur Ausreise auf und drohte ihm gleichzeitig – für den Fall der Weigerung – die Abschiebung an. Seit Wochen bemüht Hung sich deshalb, der Aufforderung nachzukommen. Er kaufte ein Flugticket für 1.200 Mark und beantragte bei der Botschaft seines Heimatlandes ein Einreisevisum. Das nämlich verlangt die Republik Vietnam nach wie vor von ihren zurückkehrenden Staatsbürgern. Dieses Visum jedoch bekommt Hung nicht, denn es gibt kein Reisedokument, in das man es hineinstempeln könnte. Seinen Reisepaß hat die Rostocker Ausländerbehörde einbehalten. Auch als Hung dort Flugticket und Visumantrag vorlegte, rückte die Behörde den Paß nicht heraus. Mittlerweile ist klar, warum: Der Paß ist längst ohne seinen Inhaber auf Reisen gegangen – Richtung Vietnam.

Die Ausländerbehörde nämlich hat Hung zur zwangsweisen Abschiebung vorgesehen und seine Papiere an die dafür zuständige Grenzschutzdirektion Koblenz geschickt. Die wiederum setzte Hungs Namen auf die Liste der Abzuschiebenden, die nach dem deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommen zur Überprüfung an die Behörden nach Hanoi geschickt werden muß. Statt nur die Personalien zu übermitteln, sandten die Koblenzer Grenzschützer Hungs Paß gleich mit. Eine ungewöhnliche Regelung, die auch im Rückübernahmeabkommen nicht vorgesehen ist.

Nach den bisherigen Erfahrungen kann es lange dauern, bis Hungs Paß wieder in Deutschland auftaucht, denn bisher lassen sich die vietnamesischen Behörden bei der Überprüfung der Namenslisten aus Deutschland betont viel Zeit. Von den 40.000 Vietnamesen, die in ihre Heimat zurückkehren sollen, konnten seit Inkrafttreten des Rückübernahmeabkommens im letzten Sommer erst 61 tatsächlich abgeschoben werden.

Die Verzögerungstaktik der heimischen Obrigkeit bringt für viele Vietnamesen einen Zeitgewinn. Für Hung jedoch ist sie nur hinderlich: Das Flugticket, das er aus eigener Tasche bezahlt hat, verfällt bald. Als abgeschobener Ausländer bekommt er zudem ein Einreiseverbot für die Bundesrepublik in den Paß gestempelt. Und auch in Vietnam muß Hung Nachteile befürchten. Bereits abgeschobene Landsleute berichten, daß sie bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen von der vietnamesischen Polizei tagelang festgenommen, verhört und erst nach der Zahlung eines Schmiergeldes wieder freigelassen wurden. Vera Gaserow