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Straßenbahn-Demokratie in Portland

Umweltschützer und Industrie in der US-Westküstenmetropole Portland wollen weniger Autoverkehr. Vor allem die Industrie hat begriffen: Weniger Autoverkehr bedeutet mehr Jobs  ■ Aus Portland Hermann-Josef Tenhagen

Portland im US-Bundesstaat Oregon gilt als die Stadt mit dem besten neugebauten Nahverkehrssystem Amerikas. Dennoch, beim Stichwort Verkehr denken auch Portlander Bürgerinnen und Bürger immer noch vor allem ans Autofahren. Kein falscher Zungenschlag: Die meisten finden es gut, daß ihr Stadtrat gemeinsam mit den Vorortgemeinden eine Straßenbahn und ein funktionierendes Busnetz auf die Beine gestellt hat. Sie begrüßen es, daß die beiden wichtigsten Straßen in Downtown für den Durchgangsverkehr gesperrt sind – nur die Busse dürfen passieren. 220.000 Fahrgäste am Tag zählt der Nahverkehr in der 450.000 Einwohner großen Stadt. Doch über die wirtschaftlichen Folgen dieser Politik machen sie sich wenig Gedanken.

Sagt zumindest Keith Bartholomew. Bartholomew war der Motor einer Bürgerinitiative, als vor zwei Jahren eine neue Umgehungsautobahn gestoppt wurde. Und Bartholomew treibt mit den halbstaatlichen Umweltschützern der „1.000 Friends of Oregon“ die Verkehrspolitik in der Stadt voran. 1.000 Friends of Oregon arbeiten mitten in der Stadt in einem alten Bürohochhaus. Die Organisation ist Ende der siebziger Jahre von einem wachstumskritischen republikanischen Gouverneur und Umweltorganisationen ins Leben gerufen worden.

Im Gegensatz zu den Bürgern hätten viele Industrielle in der Stadt den Zusammenhang von Verkehr und Jobs ganz gut verstanden, meint Bartholomew. Sie sind es auch, die 0,6 Prozent der Einkommen ihrer Angestellten in einen Verkehrsfonds zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs stecken (müssen).

„Entweder wir bekommen mehr Autoverkehr, oder wir schaffen mehr Jobs“, spitzt der Umweltjurist die Frage zu. Beispiel Luftreinhaltung: Portland hält seit etwa zehn Jahren die US-Luftgütestandards des „Clean Air Act“ ein. Doch mehr Autoverkehr im Sommer bedeutet höhere Ozonwerte und eine Überschreitung der Grenzwerte mit negativen Folgen – vom Imageverlust für die aufstrebende Metropole im Nordwesten bis zu geringeren Zuwendungen aus Washington.

Spannender noch: Um das Recht, die Luft zu verschmutzen, konkurrieren die zahlreichen Computerfirmen Portlands (darunter der weltgrößte Chipproduzent Intel) mit den Autofahrern. Bei ihren Produktionsprozessen werden Kohlenwasserstoffe freigesetzt, die zu höheren Ozonwerten führen. Mehr Intel oder mehr Autos, auf diese einfache Formel läßt sich Portlands Verkehrsproblem auch bringen.

Denn der Clean Air Act verlangt bei einer Überschreitung der Grenzwerte für Ozon, Kohlenmonoxid, Stickoxiden, Schwefeldioxid, Ruß und Blei nach drastischen Schritten bei der Industrieansiedlung. So müßten sich ansiedlungs- und expansionswillige Betriebe für ihre Investitionen Verschmutzungsrechte bei anderen Firmen erkaufen, damit die Gesamtbelastung in der Region nicht steigt. Die Grenzwerte sind dabei einigermaßen rigide. Um die teuren Konsequenzen für Wachstumsbranchen zu vermeiden, setzt sich die Computerindustrie in und um Portland also seit Jahren für einen vernünftige Verkehrspolitik ein; nicht zufällig gehörte Intel- Manager Craig Modahl zu einer Task Force, die schon 1992 Vorschläge zur Senkung der Luftbelastung durch den Autoverkehr erarbeitete.

Mehr Intel oder mehr Wasserverschwendung ist die zweite Alternative, vor der Portland steht. Die Chiphersteller brauchen für ihre Produktion dringend das superreine Gebirgswasser aus den Rocky Mountains, mit dem auch Portlands Einwohner versorgt werden. „Wenn der Verbrauch von Firmen und Privaten zu hoch wird, muß die Stadt erstmals ein Wasserwerk mit Filteranlagen bauen, um Wasser aus den Flüssen Columbia und Willamette entnehmen zu können“, prophezeit die Biologin Joy Belsky vom Oregon Natural Ressources Council. „Das wird teuer. Und das Flußwasser wird für die Bürger sein, das Gebirgswasser für Intel.“

Statt aber zur lautstarken Konfrontation überzugehen, ziehen die Beteiligten hinter den Kulissen kräftig am gleichen Strang. Bartholomew schmunzelnd: „Die Lobbyisten der Computerindustrie sitzen gleich auf der anderen Seite der Straße. Die helfen schon mal aus, wenn es in Eugene (der Hauptstadt des Bundesstaates) um die Wurst geht.“ Die Industriellen seien nicht nur in der Umweltpolitik viel moderater als manche reaktionäre Parlamentarier in der Hauptstadt.

Auch Steve Iwata, bei der Stadtverwaltung zuständig für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, preist die gemeinsame Suche nach Lösungen in der Stadt. „Die Stadt hat eine ungeheure Kultur des Kompromisses – und bis jetzt hat diese Kultur alle Konflikte wieder eingefangen.“ Um die Verkehrsleitplanung für die kommenden Jahrzehnte durchsichtig zu machen, hat die Stadtverwaltung 40.000 Broschüren mit der Bitte um Kommentare an interessierte Bürger verschickt. Als das noch nicht genug fruchtete, schoben die Stadtplaner noch eine Fragebogenaktion nach.

Aber die Stadt kann in der boomenden Region (1,4 Millionen Einwohner) nicht mehr allein Politik machen. Schon 1978 wurde deswegen eine Regionalregierung gegründet. Und die wird nach einigem Hin und Her direkt gewählt. „Mit dem Metrorat können wir die Nachbarkreise politisch einbinden“, hat Iwata beobachtet. „Die gewählten Ratsmitglieder denken schon nach kurzer Zeit tatsächlich für die Region und nicht mehr für ihren Sprengel.“ Metro werde mehr und mehr zu einer Überregierung, in der die eigentlich wichtigen Entscheidungen für Portland gefällt würden. Eine solche direkt gewählte Regionalregierung gebe es aber nirgendwo sonst in den Staaten, berichtet Iwata stolz.

Nächstes verkehrspolitisches Ziel der Metro ist es, nach der Straßenbahnstrecke in die östlichen Vororte und der in Bau befindlichen Nord-Süd-Achse auch eine Linie in die westlichen Vororte hinzubekommen. Iwata ist trotz existierender Finanzprobleme ganz optimistisch: „Bisher haben wir die Abstimmungen über die notwendigen Kredite für den Neubau der Straßenbahn immer mit zwei Drittel oder mehr der Stimmen in der Region gewonnen. Das dürften wir auch diesmal schaffen.“

Im Stadtmuseum von Portland wird gerade eine Ausstellung über die Entwicklung der Westküstenmetropole gezeigt. „From the Oregon Trail to Portland Light Rail“ (Vom Zug nach Oregon zur Straßenbahn).

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