Die Pausenclowns

Vor dem Zweiten Weltkrieg war politische Karikatur in Deutschland unbekannt, die Nazis druckten Hetzbilder. Heute gilt: Nur nicht anecken!  ■ Von Rainer Hachfeld

Während zum Beispiel in Großbritannien die Karikaturisten der überregionalen Tagespresse „phänomenal bezahlt und fast wie Filmstars gefeiert“ werden – so der Kunstwissenschaftler und Karikaturist Frank Whitford –, kann man sie hierzulande getrost als die Parias in der Journalistenhierarchie bezeichnen.

Sie stehen in keinem Impressum, oft fehlt ihren publizierten Werken der für Fotos inzwischen obligate Urheberhinweis, die Journalistenorganisationen ignorieren sie als eigenständige Berufssparte. Die Honorare, die in Deutschland für Karikaturen bezahlt werden, verdienen kaum diesen Namen und liegen selbst bei großen überregionalen Blättern weit unter dem, was in unseren europäischen Nachbarländern dafür ausgegeben wird. Das alles hat (auch) historische Gründe, unter anderem den, daß diese Form des Journalismus bei uns eben kaum historisch genannt werden kann.

So schrieb Christian Ferber 1980 im Begleittext zum Bildband „Zeichner der Zeit – Pressegraphik aus zehn Jahrzehnten“: „Die deutsche Presse vor 1933 hatte so gut wie keine politischen Karikaturen veröffentlicht, und die deutsche Presse nach 1933 auch nicht. Nennenswertes wurde in der freien Nachkriegspresse erst von etwa 1950 an geleistet: dann übernahm man allenthalben Stil und Brauch der britischen Blätter, mit mehreren gezeichneten Kommentaren pro Woche und am Ende täglich. Da dieser Brauch bei uns nun auch schon drei Jahrzehnte alt ist, können sich selbst betagte Leser nicht vorstellen, daß dies jemals anders gewesen sei.“

Die fehlende Tradition wirkt sich auf den Stellenwert der Karikatur in der deutschen Tagespresse bis heute aus, auch wenn nicht alle Zeichner ihre Rolle so selbstkritisch einschätzen wie Altmeister Fritz Wolf, der sich als „Pausenclown“ geoutet hat.

Damit entspricht er aber der Vorstellung, die sich viele der zuständigen Redakteure von „ihren“ Karikaturisten machen, was sich auf die „Zusammenarbeit“ mit ihnen entsprechend auswirkt. Die Ergebnisse sind tagtäglich in vielen Zeitungen zu sehen.

Natürlich gab es auch in Deutschland seit Jahrhunderten satirische Zeichnungen und politische Karikaturen – nur eben nicht in der Tagespressse. Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert existierten eine Reihe spezieller Publikationen, deren Ruhm bis in unsere Tage reicht. Die Fliegenden Blätter (1845 gegründet), der Kladderadatsch (1848), Der Wahre Jakob (1884) und der Simplicissimus (1896) waren Fachzeitschriften für gezeichneten und geschriebenen Humor, heute allenfalls mit der Titanic und dem Eulenspiegel zu vergleichen.

Einzelne humoristische Zeichnungen erschienen in Illustrierten und Magazinen. Seit den zwanziger Jahren füllten und füllen sie ganze „Witzseiten“. Berühmt und beliebt waren die der Berliner Illustrirten Zeitung, die mit ihren Zeichnern Paul Simmel, Ferdinand Barlog und Horst von Möllendorf auf dem Gebiet der unpolitischen Humorzeichnung konkurrenzlos war.

Mit A. C. Michel, Rolf Niczky und später Hans Liska hatte die BIZ außerdem einen Stab technisch herausragender Pressezeichner im eigent- und ursprünglichen Sinn: zeichnende Bildreporter, die mit Feder und Pinsel, Tusche und Deckweiß möglichst realistisch Situationen nachempfanden, von denen es keine Fotos gab.

Liska ging allerdings weiter und verherrlichte die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg in monströs- heroischen Fantasiebildern voll unfreiwilliger Komik. Diese aufwendigen Illustrationen sind aus der heutigen Presse so gut wie verschwunden. Nur wenige zahlungskräftige Illustrierte leisten sich hin und wieder den Luxus gezeichnet- gemalter, detailgetreuer naturalistischer Darstellungen spektakulärer Ereignisse, die nicht fotografiert werden konnten.

Allein die Gerichtszeichner haben ihren festen Platz in den heiligen Hallen Justitias behalten, in denen während der Verhandlungen nach wie vor nicht geknipst werden darf.

Die tägliche aktuelle politische Karikatur, stets an der gleichen Stelle im Zeitungslayout zu finden, ist eine angelsächsische Erfindung, die erst nach 1945 durch die britischen und US-amerikanischen Besatzer und Presselizenzvergeber bei uns heimisch geworden ist. Und das natürlich auch nicht von heute auf morgen. Noch im Almanach des Journalistenverbands von Württemberg-Baden, „Die deutsche Pressezeichunung 1951“, lassen sich von den einhundertfünfzig Beiträgen gerade mal zehn als politische Karikaturen qualifizieren.

In den ersten Nachkriegsjahren druckten die deutschen Tageszeitungen dank ihrer Lizenzgeber mehr britische und US-amerikanische „editorial cartoons“, wie sie in diesen Ländern genannt werden: redaktionelle Karikaturen. Es gab kaum unbelastete deutsche Karikaturisten, die diese Spielart der satirischen Grafik kannten oder gar beherrschten.

In der Nazizeit gab es als politische Karikaturen verbrämte Hetzzeichnungen in Blättern, die Stürmer, Völkischer Beobachter, Die Bewegung oder Das schwarze Korps hießen. Auch andere Zeitungen, wie die Vorläuferin der SZ, die Münchener Neusten Nachrichten, veröffentlichten gelegentlich so etwas wie politische Karikaturen, oft als Reaktion auf die bissigen Anti-Hitler-Cartoons aus Großbritannien. Doch im Gegensatz zu den Nazimilitärs, -richtern und -administratoren gingen die Nazikarikaturisten nach dem Krieg vorerst auf Tauchstation.

Es war die Zeit der Newcomer. Junge deutsche Grafiker und Illustratoren in den Tageszeitungen erkannten bald, was für ein interessantes Medium sich ihnen da auftat. 1948 erschien die erste Karikatur von Felix Mussil in der Frankfurter Rundschau, zu einer Zeit, als die Leichtmatrosen von der Titanic, die Mussil heute wegen seines betulichen Stils allzugern hänseln, noch nicht geboren waren.

1949 publizierte die Süddeutsche Zeitung zum ersten Mal eine Zeichnung von Ernst Maria Lang. Und seit 1949 arbeitet auch Fritz Wolf für die Neue Osnabrücker Zeitung (damals Neues Tageblatt). Wolf (rechts oben) ist ein typischer Vertreter dieser ersten Generation der deutschen Tageszeitungskarikaturisten. Als gelernter Chemograph studierte er nach dem Krieg an einer Werkkunstschule, aus der ihn ein Freund und Lizenzträger einer Tageszeitung als „Grafiker für alles“ in die Redaktion holte.

Beeindruckt vor allem von David Low (oben links) begann er mit editorial cartoons und ist bis heute der zeichnende Chronist seines Blattes, wie Mussil und Lang (unten links) bei ihren Zeitungen.

Sir David Low (1891-1963) beeinflußte am stärksten die deutschen Nachkriegszeichner, nicht nur, weil er hierzulande der meistpublizierte Karikaturist nach 1945 war. Er war, auch international, der stärkste seiner Zunft. Seine brillanten und bissigen Zeichnungen aus dem Evening Standard wurden auf Initiative des britischen Controllers Lt. col. Steel McRitchie, der die Redaktion der Welt kontrollierte, fast täglich und vor allem dort nachgedruckt.

Um die Leser mit dem neuen Medium vertraut zu machen, ließ McRitchie in der Welt vom 30. August 1947 durch Kurt W. Marek die „Notwendigkeit der Karikatur“ verkünden: „Karikatur steht unter dem Signum der Freiheit. Die Anwendung der Karikatur schmerzt. Aber dann ist sie dem öffentlichen Leben, was der Schmerz dem Körper ist: Warner. Und dieser Schmerz ist nötig.“

Von 1949 bis zu seinem Tod 1957 hatte die Welt in Mirko Szewczuk einen der profiliertesten Karikaturisten dieser Zeit – allerdings auch einen Hans Zehrer als Chefredakteur.

Die Anwendung der Karikatur – zumal in der Tagespresse – schmerzt heute niemanden mehr (Gerichtsnotorisches ist den Satire- und Alternativblättern vorbehalten). Im Gegenteil: Für den um seine miesen Honorare kämpfenden Karikaturisten gilt es, möglichst wenig anzuecken, um die Klientel fast aller politischen Richtungen zufriedenzustellen.

Damit begnügen sich auch die meisten der für Karikaturen zuständigen Redakteure in Unkenntnis dessen, was der junge Theodor Heuß schon 1909 in seiner Arbeit „Zur Ästhetik der Karikatur“ konstatierte: „Die Karikatur hat den gesellschaftlichen Zweck der Kritik. Sie gehört zum Journalismus.“

Schön wär's.