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Verschworen im Kampf gegen den Bundesstaat

■ Morgen jährt sich die verheerende Bombenexplosion in Oklahoma City. Der Anschlag und dessen Folgen haben die rechtsradikale "Patriot"- und "Militia"-Bewegung in den USA nicht geschwächt - sondern

Verschworen im Kampf gegen den Bundesstaat

Die Ruine ist inzwischen abgerissen, ein Zaun um das Brachgelände gezogen. Am Maschendraht sind Blumen, Rosenkränze, Teddybären befestigt; dazwischen Fotos von den Toten, Gedichte und Gebete auf Papier gekritzelt. Ein Jahr nach dem Bombenanschlag auf das Alfred- P.-Murrah-Gebäude in Oklahoma City ist der Zaun zur provisorischen Trauerstätte und zur makabren Touristenattraktion geworden. Eine Gedenkstätte soll an dieser Stelle errichtet werden. Doch bislang haben sich die Mitglieder des zuständigen Komitees nicht auf einen Entwurf einigen können.

Man hat derzeit anderes zu tun in Oklahoma City – zum Beispiel Spendengelder sammeln für die Arzt- und Rehabilitationskosten der Verletzten, deren Krankenversicherungen nicht mehr zahlen; für Rollstühle und behindertengerechte Autos; für die College-Stiftung zugunsten der Kinder, die bei dem Attentat Vater oder Mutter verloren haben. Die Wunden sind im wahrsten Sinne des Wortes zu frisch, um sich jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man an den verheerendsten Bombenanschlag in der amerikanischen Geschichte erinnern will.

Nur soviel steht fest: Am Freitag um 9:02 Uhr — auf die Minute genau ein Jahr nach der Explosion der zwei Tonnen schweren Autobombe — werden in Oklahoma City alle Räder stillstehen und nach einer Schweigeminute die Namen der 168 Toten über Lautsprecher verlesen. Im Kongreßzentrum wird eine öffentliche Trauerfeier stattfinden.

Am selben Tag werden Polizeibehörden in allen Landesteilen der USA in erhöhter Alarmbereitschaft verbringen — vor allem jene, die mit der Bewachung von Gebäuden der Bundesverwaltung beauftragt sind. Denn der 19. April ist für die rechtsradikale „Patriot“- und „Militia“-Bewegung in den USA der „Tag des Staatsterrors“, wie es John Trochmann, Mitbegründer der „Militia of Montana“ formuliert hat. An diesem Tag ging vor drei Jahren die Siedlung der militanten Christensekte der „Davidianer“ in Waco, Texas, in Flammen auf, als FBI-Einheiten das Gelände stürmen wollten. 80 Menschen starben.

Vereinte Rechte: Der Staat plant eine Diktatur

Der Konflikt hatte begonnen, als mehrere Polizisten von „Davidianern“ bei dem Versuch erschossen wurden, den Führer der Sekte, David Koresh, wegen Verstoßes gegen Waffengesetze festzunehmen. Waco ist seither Wallfahrtsort für Neonazis, Ku-Klux-Klan-Anhänger, Bürgerwehren, Mitglieder der „National Rifle Association“ sowie Angehörige rechtsradikaler christlicher Sekten — und Synonym für das, was sie ideologisch zunehmend eint: Die Überzeugung, daß der Staat im allgemeinen und der Bundesstaat im besonderen der Todfeind des Bürgers ist, dessen Entwaffnung und die Errichtung einer Diktatur plant.

Rache für Waco, so argumentiert die Staatsanwaltschaft, sei das Motiv für den Golfkriegsveteranen und Waffenfetischisten Timothy McVeigh und seinen Komplizen Terry Nichols gewesen, einen Kleintransporter mit einem hochexplosiven Gemisch aus Ammoniumnitrat und Benzin vollzuladen und vor dem Murrah-Gebäude zu zünden. In dem Bürogebäude waren neben einer Bank und einer Kindertagesstätte vor allem Filialen von Bundesministerien und -behörden untergebracht.

In den letzten Wochen und Monaten gab es Anlässe genug, sich der zunehmenden Gefahr rechtsradikaler Terroranschläge in den USA zu vergegenwärtigen. Seit dem 12. September 1995 steht in Texas Charles Ray Polk, ein Anhänger der „Patriot“-Bewegung vor Gericht, weil er geplant haben soll, das Gebäude der Steuerbehörde in Austin in die Luft zu jagen. Am 9. November 1995 verhaftete das FBI vier Mitglieder der „Oklahoma Constitutional Militia“ beim Basteln von Sprengsätzen. Die vier hatten laut Anklageschrift Anschläge auf Bürgerrechtsgruppen und jüdische Organisationen geplant.

Seit mehreren Wochen belagern FBI-Einheiten eine Farm in Montana, in der sich schwerbewaffnete „Freemen“ verschanzt haben — Angehörige einer Bewegung, die keine staatlichen Gesetze anerkennen, Richter und Sheriffs mit dem Tode bedrohen und ein ausgefeiltes System von Scheck- und Kreditkartenbetrug zur Finanzierung ihrer Aktivität entwickelt haben.

Weitaus erschreckender als diese Einzelfälle sind allerdings die Erkenntnisse, die die Bürgerrechtsorganisation „Southern Poverty Law Center“ (SPLC) jetzt über die „Patriot“- und „Militia“- Bewegung veröffentlichte (siehe Interview). Demnach hat der Schock über den Bombenanschlag in Oklahoma City und die daraus folgende Berichterstattung der Medien über die „Patriot“ und „Militia“-Bewegung deren Anhängerschaft nicht etwa reduziert, sondern vergrößert. Ende 1993 hatte das SPLC 245 Gruppen registriert; heute sind es 800, darunter 441 Milizen mit militärischer Hierarchie — verteilt auf alle Bundesstaaten. „Obwohl die meisten Mitglieder der ,Patriot‘-Bewegung keine Gewaltbereitschaft zeigen, ziehen ihre Organisationen gewaltbereite Individuen an“, schrieb SPLC-Direktor Morris Dees in einem Brief an US-Justizministerin Janet Reno. „,Patriot‘- Anhänger haben Zugang zu Sprengstoff, Giftgas und militärischen Schußwaffen. Sie sind gut finanziert. Die Entschlossensten unter ihnen verfolgen eine Strategie des ,führerlosen Widerstandes‘, indem sie kleine, unabhängige Zellen für Terroranschläge formen.“

Spekulationen über einen möglichen Freispruch

Wie viele Komplizen Timothy McVeigh und Terry Nichols hatten, ist immer noch unklar. In der Anklageschrift ist von weiteren „unbekannten Personen“ die Rede, die an der Tat beteiligt gewesen sein könnten. Das Gerichtsverfahren wird voraussichtlich im Herbst beginnen — nicht in Oklahoma City, wo die Angeklagten nach Ansicht ihrer Verteidiger keine unvoreingenommene Jury gefunden hätten, sondern in Denver im US-Bundesstaat Colorado.

Der Schuldspruch in diesem „Jahrhundertprozeß“ ist keineswegs so sicher, wie es unmittelbar nach McVeighs Verhaftung noch am Tag des Attentats schien. Die Staatsanwaltschaft kann zwar eine Kette von Indizien präsentieren, die vor allem McVeigh schwer belasten. Es gibt jedoch keine Augenzeugen, die ihn eindeutig als jenen Mann identifizieren könnten, der am 19. April 1995 den Kleintransporter mit der Bombe vor dem Eingang des Gebäudes abgestellt hat. Als Hauptbelastungszeugen will die Staatsanwaltschaft einen ehemaligen Armeesoldaten und Kumpel von McVeigh namens Michael Fortier in den Zeugenstand holen, der mit McVeigh im Dezember 1994 das Alfred- P.-Murrah-Gebäude als Ziel des Anschlages ausgekundschaftet haben soll. Das Problem: Fortier wird als Gegenleistung für diese Aussage mit einer milden Gefängnisstrafe belohnt und hat bereits öffentlich kundgetan, regelmäßig unter Drogeneinfluß gestanden zu haben. Schon jetzt argwöhnen Rechtsexperten, daß Fortiers Mangel an Glaubwürdigkeit jenen „berechtigten Zweifel“ an der Schuld der Angeklagten aufwerfen könnte, der für einen Freispruch ausreicht. McVeigh, der in den letzten Monaten ein gefragter Interviewpartner der US-Medien geworden ist, gab sich in einem Gespräch mit dem US-Magazin Time zuversichtlich, daß die Geschworenen in ihm einen aufrechten Mitbürger mit einer unschuldigen Vorliebe für Waffen und Filmkomödien erkennen, der in eine staatliche Verschwörung geraten ist. „Ich bin“, erklärte er, „ein ganz normaler Typ.“

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