: Die Spaziergänger von Glasmoor
■ Freispruch für zwei Abschiebeknast-Besucher
Dreifach umzäunter Abschiebeknast mitten in der Ödnis. Männer verschiedener Nationalitäten warten in Glasmoor auf ihre Abschiebung, bis zu sechs in einer Zelle. Zwei Hamburger Antifaschisten war vorgeworfen worden, beim Konzert „Rock gegen Abschiebehaft“ am 23. September 1995 auf das JVA-Gelände vorgedrungen zu sein und sich durch Zurufe mit den Gefangenen verständigt zu haben. Gestern wurden sie vom Amtsgericht Norderstedt freigesprochen.
Wer einmal in Glasmoor den Abschiebeknast gesehen habe, dem werde „die Lächerlichkeit, ja der Zynismus dieser Anschuldigung deutlich“, sagte der Angeklagte Andreas M. (24). Zum Ärger der 20 ZuhörerInnen durfte er seine Erklärung nur zur Hälfte vortragen.
Im Februar dieses Jahres waren Martin S. und Andreas M. die Strafbefehle wegen Hausfriedensbruch ins Haus geflattert. Gegen die Strafen von 2700 Mark und 1350 Mark legten die Antifaschisten Einspruch ein. In der gestrigen Hauptverhandlung konnten die als Zeugen geladenen Polizisten nicht sagen, ob ihnen bei der Personenkontrolle die Ausweise beider Männer überhaupt vorgelegen hatten. Auch konnten sie Andreas M. nicht wiedererkennen. Deshalb entschied Richter Reinhard Leendertz auf Freispruch. Martin S. hatte die Verhandlung – entschuldigt – versäumt.
Aus dem im Februar 1994 eingerichteten Abschiebeknast in Norderstedt-Glasmoor wurden bislang schon Hunderte von Migranten abgeschoben. Auf die regelmäßigen Sonntagsspaziergänge, Kundgebungen, Demos und Solidaritätskonzerte reagierte Anstaltsleiter Harold Buck vor gut einem halben Jahr mit einem sogenannten Distanzzaun rund um das Gelände. Eine Kommunikation zwischen Spaziergängern und Insassen ist damit unmöglich. Bereits vor einem Jahr wurden MitarbeiterInnen der Glasmoorgruppe mit Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch belegt, was in der Regel mit einem Besuchsverbot bei den Flüchtlingen einhergeht. Andreas M. resümiert das Vorgehen der Anstaltsleitung folgendermaßen: „Die Hausfriedensbruch-Anzeigen sind reine Schikane, denn die Anzahl der Sonntagsspaziergänger wird nicht weniger.“ Sonja Schmitt
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