: Klassenkampf ist wie Kino
■ Der Rote Geschichtsarbeitskreis feiert Thälmanns 110. Geburtstag und zeigt Kultszenen aus dem Defa-Schinken „Führer seiner Klasse“. Ratlosigkeit verbindet
Wo die „Golden Twenties“ und das Charleston-Berlin beschworen werden, da sind in aller Regel dumpfe Städtewerbung mit Straßenmusik, Lafayette-Events und Reisebusse nicht weit. Daß sich im Arbeitslosen-Hotspot-Berlin dennoch ein historischer Exkurs in die Weimarer Zeit interessant gestalten kann, zeigte sich dieser Tage in dem konspirativ-klammen Keller des „Eine-Welt-Zentrums Baobab“ in Prenzlauer Berg.
Dorthin mußte nämlich kurzfristig eine Veranstaltung des „Roten Geschichtsarbeitskreises“ anläßlich des 110. Geburtstages von Ernst Thälmann verlegt werden, weil die ursprünglich als Treffpunkt vorgesehene Kneipe „Roter Berg“ pleite gemacht hatte.
Obwohl das angekündigte Referat über den „Blutmai 1929“ also erst mit erheblicher Verspätung begann, saßen schließlich immer noch 20 konzentrierte Leute um den Tisch, ein rotes „Für internationale Solidarität“-Transparent diente als Tischdecke. Wißbegierige junge Raucher und Biertrinker folgten den Ausführungen des Genossen Felix, der seine physiognomische Ähnlichkeit mit Teddy Thälmann vorteilhaft durch eine Prinz-Heinrich-Mütze betonte.
Mit Liebe zum Detail berichtete Felix fast so, als sei er selbst dabeigewesen, über das damalige Demonstrationsverbot, die sozialdemokratischen Repressionen gegen die KPD und darüber, wie und wo genau die aufgewiegelte Polizei im Mai 29 in die Reihen der Proletarier, auf unbeteiligte Balkonsteher und einen orientierungslosen neuseeländischen Reporter geschossen hatte.
Auch damals gab es in Berlin viele Baustellen, deren Materialien die Demonstranten zum Barrikadenbau umnutzten. Die SPD unterstellte der KPD später, die Kundgebung auf dem Alex nur wegen der großen Baugrube dort veranstaltet zu haben, damit bei den erwarteten Unruhen die angeblichgeplanten Opfer in das Baggerloch fallen sollten.
Sein Referat dauerte dann so lange, daß die anschließende Vorführung des Defa-Schinkens „Thälmann – Führer seiner Klasse“ auf das Abspielen einiger Kultszenen verkürzt werden mußte. Um neue historischen Erkenntnisse geht es dem Arbeitskreis nicht. Die Gruppe hatte sich im vergangenen September auf einer Wanderung zur Thälmann- Gedenkstätte nach Ziegenhals, entschlossen der eher geschichtsfeindlichen Antifaszene fortan durch öffentliche Veranstaltungen, Kontaktaufnahmen mit Zeitzeugen und regelmäßige Vorführungen von klassischen „Arbeiterfilmen“ im KOB die Vergangenheit nahezubringen.
„Wir als Roter Geschichtsarbeitskreis sehen uns als Teil einer revolutionären linken Bewegung, die aus den Erfahrungen vergangener Klassenkämpfe viel lernen kann und muß.“ Wahrscheinlich wegen des alten Overhead-Projektors erinnerte die Thälmann-Veranstaltung atmosphärisch dann doch an längst vergangene Zeiten, als zum Beispiel die SDAJ- Ortsgruppe Werne a. d. Lippe im Hinterstübchen der Pommesbude „Kupfergrill“ revolutionär herumdiskutierte.
Das eigentliche Motiv der Zusammenkunft schien die Ratlosigkeit darüber, daß im Moment, aller Arbeitslosigkeit und Sozialmisere zum Trotz, keine politische Gegenbewegung in Gang kommen will. Daß der „Rote Geschichtsarbeitskreis“ zur Keimzelle einer solchen wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Trotzdem fühlte ich mich auf dem Heimweg wie nach einem gelungenen Kinoabend, wohlig umweht von Illusionen, zum Beispiel der, doch nicht allein im Kampf gegen die Ämter und ähnliches Ungemach dazustehen. Dorothee Wenner
Kontakt: Roter Geschichtsarbeitskreis, c/o Nachladen, Waldemarstraße 36, Kreuzberg
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