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Reichlich Baldrian in die Frauenpolitik getropft

■ Debatte über die Pekinger Weltfrauenkonferenz im Bundestag: Frauenministerin Nolte hält dem Rotstift von Blüm und Waigel nichts als vage Appelle entgegen

Im Parlament herrschte Aufbruchstimmung. Doch nicht die, die sich Rita Süssmuth wünschte. „Das Thema ist keine Aufforderung, den Saal zu verlassen“, meint sie, als sich die Reihen zu Beginn der frauenpolitischen Debatte schlagartig lichten.

Sieben Monate Bedenkzeit hatte Ministerin Nolte, doch eingefallen ist ihr nichts. Bei der gestrigen Bundestagsdebatte über die 4. Weltfrauenkonferenz blieb sie immer noch konkrete Vorschläge zur Umsetzung der Peking-Beschlüsse schuldig.

Den geteilten Arbeitsmarkt verurteilt sie, bringt jedoch kein Gesetz zur Frauenförderung in der Privatindustrie in die Debatte. Den „Mißbrauch“ von 590-Mark- Jobs, dem Arbeitsplatzbereich mit der derzeit schnellsten Zuwachsrate für Frauen, lehnt sie ab, eine Sozialversicherungspflicht fordert sie jedoch nicht. Konkret wird sie, wo die Probleme weit weg liegen: bei dem Ausschluß von Frauen aus Olympiamannschaften.

Die hehren Absichtserklärungen von Peking waren noch nicht verhallt, da schritt die Bonner Regierung bereits zur Tat, genauer: zur Tatverhinderung. Sie blockierte das 4. EU-Aktionsprogramm zur Chancengleichheit, dem alle anderen 14 EU-Staaten zustimmten. Im Dezember einigte man sich auf 30 statt der vorgeschlagenen 60 ECU als Budget für das Programm – eine Summe, die unter dem Budget des 3. Aktionsprogramms liegt. Acht EU-Staaten erklärten, diese Kürzung sei eigentlich mit den Beschlüssen von Peking nicht vereinbar. EU-Kommissar Flynn sprach von einer schlechten Botschaft für die Frauen Europas.

Ende des Jahres löste das Frauenministerium sämtliche Strukturen auf, die zur Peking-Vorbereitung eingerichtet worden waren: die Geschäftsstelle, das nationale Vorbereitungskomittee, die zwölf Arbeitsgruppen. Diese sang- und klanglose Abwicklung fand ohne jede öffentliche Reflexion darüber statt, ob eine Nachbereitung sinnvoll sein könnte.

Als bei der Nationalen Nachbereitungskonferenz am 11. März Frauenverbände und -organisationen eine unabhängige Koordinationsstelle für die Peking-Nachfolge forderten, schmetterte die Ministerin dies ab: Ihr Haus reiche als „Bündelungsstelle“. Dabei schlug ihr bei der Großveranstaltung mit 480 Teilnehmerinnen der geballte Unmut entgegen und es wurde deutlich, daß Frauen es übersatt haben, daß Stellen- und Sozialabbau zu ihren Lasten gehen. Daß Nolte damals noch Sparpläne zu Lasten von Rentnerinnen inakzeptabel nannte, klingt heute schon wie der Ohnmachtsbeweis einer Ministerin und eine Bankrotterklärung der Frauenpolitik. Lapidar kommentierte Rita Süssmuth bei der gestrigen Bundestagsdebatte: „Wir bestimmen als Frauen nicht die Politik dieses Landes.“

Claudia Nolte blieb sich gestern treu: Sie erging sich in zaghaften Appellen, hatte dem Rotstift der Minister Blüm und Waigel, der mit der Heraufsetzung des Rentenalters von Frauen und der Kürzung des Kindergeldes schonungslos bei den Frauen ansetzt, jedoch nichts entgegenzusetzen. Sie lobte, daß Frauen in Peking sexuelle Selbstbestimmungsrechte garantiert wurden, schwieg jedoch zum Ansinnen der bayerischen Landesregierung, ein eigenes Landesabtreibungsgesetz zu schaffen, das noch hinter das Bundesgesetz zurückfällt. Als die Koalitionsmehrheit im Anschluß an die Debatte den SPD-Antrag auf Änderung des § 19 des Ausländerrechts zum unabhängigen Aufenthaltsrecht von Ehefrauen ablehnte, war einmal mehr deutlich: Peking hin, Peking her, es bleibt alles beim Alten. Christa Wichterich

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