: Der Hamburger Irrweg zum Weltmeister aller Container
■ Nach dem Baustopp für Altenwerder: Welche Prioritäten muß die Hamburger Hafenpolitik setzen, um noch eine Zukunft zu haben? Von Helmut Deecke
Nach einer fast 30jährigen Planungsgeschichte kann die Wirtschaftsbehörde für die Hafenerweiterung in Altenwerder weder einen schlüssigen Bedarfsnachweis noch eine Finanzierung für das Milliardenprojekt vorweisen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verweist auf hochriskante rechtliche Strategien, wahrscheinlich sogar auf eklatante Planungsfehler. Das Amt für Strom- und Hafenbau hat ein grandioses Eigentor geschossen.
Doch statt Freude auf der einen Seite über einen weiteren Aufschub der geplanten Baumaßnahmen oder der trotzigen Entschlossenheit eines „Jetzt erst recht“ sollte das Urteil des Verwaltungsgerichts für eine Neuausrichtung der Hafenpolitik genutzt werden. Denn das Projekt Altenwerder verdeutlicht die Krise der Hamburger Hafenpolitik und macht insgesamt die rechtlichen, finanziellen und ökologischen Grenzen der bisherigen Hafenentwicklungspolitik deutlich.
Mit dem Seehafen als Zentrum hat Hamburg seine Position als führender Logistikknoten der Bundesrepublik verloren. Gemessen an den Arbeitsplätzen liegen der Raum Frankfurt und der Raum Köln mittlerweile deutlich vor Hamburg. Sie konnten seit den achtziger Jahren absolute Arbeitsplatzzuwächse im Transport- und Logistikbereich verzeichnen, während Hamburg hier erhebliche Arbeitsplatzverluste hinnehmen mußte.
Das anhaltende Wachstum des Containerverkehrs und die enorm gewachsene Marktmacht der in Konsortien zusammengeschlossenen Großreedereien setzen Hafenunternehmen und -verwaltung unter einen erstickenden Anpassungsdruck, der sie in die Logik der Kaimauer drängt. Wo eigentlich strategische Antworten auf die Krise des Logistikstandortes fällig werden, setzt sich fast ungebrochen die Infrastrukturanpassung als dominante und alleinige Politikstrategie durch.
Dieser auf lange Sicht fatale Entwicklungspfad verspielt die Chancen der Stadt für die Anpassung an die logistischen Anforderungen des 21. Jahrhunderts und führt zu einer immer weiteren Öffnung der Schere zwischen öffentlichem Aufwand und regionalem Ertrag. Als aktuelles zentrales Problem erweist sich dabei die öffentliche Finanzierung der Ausbauvorhaben im Hafen, die auf absehbare Zeit nicht mehr garantiert werden kann.
Hamburg ist gegenüber seinen Konkurrenzhäfen durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet, die dem Hafen besondere Bedingungen auferlegen und zugleich spezifische Entwicklungschancen eröffnen. Zum einen ist dies die (innen-)
städtische Lage des Hafengebiets, die zu konkurrierenden Flächenansprüchen führt und zukünftig eine sehr viel intensivere Flächennutzung im Hafengebiet erforderlich machen wird. Zum anderen zeichnet sich die Region Hamburg durch eine vielfältige nicht maritime Wirtschaftsstruktur und ein stärker entwickeltes Netzwerk von Handels- und Logistikunternehmen gegenüber den Konkurrenzhäfen aus.
Richtig entwickelt und genutzt könnte das Potential der Region nachhaltige Impulse für die Entwicklung des Hafens setzen. Dies setzt die Entwicklung eines eigenständigen logistischen und maritimen Profils Hamburgs und damit deutliche Schwerpunktverschiebungen der Hafenpolitik voraus.
Umschlagprognosen von bis zu acht Millionen Containern im Jahre 2010 – gegenwärtige Kapazität etwa vier Millionen TEU (Transport Equivalent Units, Maßeinheit für Container), Altenwerder würde eine Kapazität von etwa einer Million TEU haben – machen deutlich, daß unabhängig davon, ob Altenwerder als Containerhafen genutzt werden sollte oder nicht, enorme Probleme auftreten werden, wenn mit den Flächen im Hafen weiter so umgegangen wird wie bisher. Altenwerder könnte dieses Problem nur um drei bis maximal vier Jahre um den Preis von 200 Hektar städtischer Fläche hinausschieben.
Die Entwicklung eines effektiven Flächenmanagements, das sich auf massive Kostenerhöhungen für die Mietpreise, kürzere Vertragslaufzeiten und die wertschöpfungsabhängige Gestaltung von Mietpreisen stützt, wird eine der wichtigen Zukunftsaufgaben Hamburger Hafenpolitik sein müssen. Der Hafen muß zu einem Kompakthafen entwickelt werden. Dazu gehört auch das Setzen von Nutzungsprioritäten. Nicht jedes Tanklager am seeschifftiefen Wasser wird in der Abwägung gegen den Containerverkehr bestehen können. Hierbei sind auch Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Elbehäfen, z. B. Brunsbüttel, zu berücksichtigen.
Hamburg muß sich zu einem logistischen Kompetenzzentrum entwickeln. Die Initiative dazu muß von der Stadt ausgehen und städtische Akteure aus Wirtschaft, Gewerkschaften, Verwaltung, Wissenschaft und Verbänden zusammenbringen. Es gilt, die in der Region aufgrund der langen maritimen Tradition der Stadt reichlich vorhandenen, aber häufig isolierten Logistikpotentiale in Handel, Transport und Industrie zu aktivieren, zu bündeln und weiterzuentwickeln und neue logistische Produkte zu entwickeln. Die Qualifizierung des Logistikpersonals auf allen Ebenen, die Initiierung und Unterstützung von anwendungsbezogener Forschung und die Intensivierung des Forschungstransfers sind dabei wichtige Handlungsfelder städtischer Förderpolitik.
Dabei wird es hinderlich sein, ausschließlich auf den Hafen zu sehen. Der Hafen wird von der Mobilisierung der Region mehr profitieren als umgekehrt. Nicht jede logistische Produktionsinnovation wird zudem zu zusätzlichen physischen Transporten führen, sondern umgekehrt zur Verringerung oder Vermeidung von Transport.
Der Zuschnitt der Hafenverwaltung mit dem Schwerpunkt auf dem Hafenbau (von den etwa 2600 Beschäftigten der Wirtschaftsbehörde sind 2000 beim Amt für Strom- und Hafenbau beschäftigt) wird den zukünftigen Anforderungsprofilen städtischer Hafenpolitik nicht mehr gerecht. Eine rechtliche Verselbständigung der Hafenverwaltung und ein anderer Aufgabenzuschnitt sind deshalb anzustreben.
Hafenpolitik wird in Zukunft wesentlich in Brüssel gemacht. Die wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen der Häfen bedürfen einer Anpassung. Die Beihilferegelungen des EU-Vertrages müssen auch im Hafenbereich voll durchgesetzt werden. Die EU-Kommission hat 1993 eine Initiative für eine gemeinsame europäische Seehafenpolitik gestartet. Ein zentraler Punkt der Initiative sind kostendeckende Gebühren für die Nutzung von öffentlich bereitgestellter Hafeninfrastruktur.
Es liegt im ureigensten Interesse der Stadt, die Initiative aktiv zu stützen und voranzutreiben. Durch Mehreinnahmen infolge marktgerechter Miet- und kostendeckender Infrastrukturpreise kann in mittelfristiger Sicht eine strukturelle Entlastung des Stadthaushalts im dreistelligen Millionenbereich erzielt und damit Ressourcen für eine zukunftsfähige Entwicklung des Logistikstandortes mobilisiert werden, ohne daß die Wettbewerbsfähigkeit der Hafenunternehmen beeinträchtigt wird.
Um den Containerschiffen der vierten Generation den Hafenzugang zu ermöglichen, müssen alle vier großen nordwesteuropäischen Häfen ihre seewärtigen Zufahrten ausbaggern; Hamburg, Bremerhaven und Antwerpen bereiten dafür gegenwärtig sogar Vertiefungen vor, Rotterdam hat bereits ausgebaggert. Die Existenz dieser Schiffe beruht auf einem im Verkehrsbereich einzigartigen polititischen Regulierungsdefizit. Niemand würde ernsthaft auf die Idee kommen, angesichts des wachsenden Güterverkehrs auf der Straße einen 100-Tonnen-Lkw zu bauen. Er würde für den Verkehr nicht zugelassen werden. Während es für alle anderen Verkehrsträger Maximalnormen für die Nutzung von Verkehrswegen gibt, fehlen diese im Bereich der hochgradig ökologisch anfälligen und zu Fahrrinnen deformierten Flußsysteme. Nicht die Flüsse sind zu klein, sondern die Schiffe sind zu groß.
Zudem gilt: Je größer die Schiffe, desto größer sind die Probleme in den Häfen. Das Manövrieren, Passieren und Drehen der Schiffe wird riskanter und erfordert erhebliche bauliche Anpassungen im Strom und bei den Wendekreisen. Die Gestaltungsspielräume für den Hafenbau sinken, weil große Schiffe nicht mehr überall in den Hafen fahren können. Auch hier wird die volle Kostenanlastung für die Bereitstellung dieser Infrastruktur ökonomisch relevante Auswirkungen auf die Schiffsgrößen haben.
Es müssen allerdings Grenzen und Gestaltungsnormen für die Ausgestaltung von Flüssen als seewärtige Zufahrten festgelegt werden. Übrigens bestehen noch Möglichkeiten für ein Moratorium auf europäischer Ebene. Keiner der Häfen hat bisher mit den geplanten Vertiefungsarbeiten begonnen.
Der Hamburger Hafen wird seine einstige regionalwirtschaftliche Bedeutung nie wieder erreichen können. Er kann sich aber auf niedrigerem Niveau durchaus so stabilisieren, daß er Arbeitsplätze und Wertschöpfung mit einem annehmbaren öffentlichen Aufwand stadtverträglich sicherstellt. Dies wird aber nur gelingen, wenn Hafenentwicklung nicht mehr mit Hafenbau und Hafenerweiterung gleichgesetzt wird.
Es wäre ein herber Verlust für die Stadt, wenn von der einst so leuchtenden maritimen Tradition Hamburgs nicht viel mehr als ein Container-Weltmeister übrig bliebe.
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