: Burgund im Detail porträtiert
■ Die Landschaften der „terroirs“ sind touristisch kaum entdeckt. Ein Reisebuch befaßt sich mit ihrer Kulturgeschichte
Wer weiß schon, was es mit der französischen Côte d'Or auf sich hat, der Weingegend in Ostfrankreich? Der Name steht nicht für Goldküste und spielt auch nicht auf die sonnenüberfluteten Weinberge an, sondern steht für „Côte d'Orient“, also das leicht zum Saône-Tal hin abfallende Weinanbaugebiet am Osthang des Bourgogne-Plateaus in der Gegend um Beaune. Da ist das gleichnamige Autobahnkreuz, wo die „Autoroute du soleil“ und die Burgund- Autobahn aufeinandertreffen, deutschen Pkw-Touristen als unfallträchtiges Nadelöhr und Tor zum Süden schon eher ein Begriff.
Wer sich jedoch zu einem Wochenende im Burgund entschließt, wird erstaunt sein. Beispielsweise über die Architektur der alten und intakten Städte Dijon, Beaune oder Auxerre. Denn die Bourgogne ist eine alte europäische Kulturlandschaft; ihre geistigen und geistlichen Zentren Cluny und Citeaux übten jahrhundertelang auf ganz Europa Einfluß aus. Allein Cluny hatte zwischen Rhein und Weichsel, Nordsee und Mittelmeer mehr als 2.000 klösterliche Dependenzen. Schon die Römer erkannten die in vielerlei Hinsicht günstige Lage dieser Landschaft und gründeten mehrere Siedlungen. Sie wurden wichtige Umschlagplätze für Holz- und Weintransporte.
Der seit über zehn Jahren in der Bourgogne lebende Hans Roth hat eine höchst interessante Kulturgeschichte dieser „terroirs“ genannten Landschaften geschrieben. Er selbst spricht von einem Reisebuch, nicht von einem Reiseführer. „Von Burgund zur Bourgogne“, so der etwas verwirrende und wohl auf die Historie abzielende Titel, verzichtet also auf Ratschläge zu Hotels, Mietwagen oder Restaurants.
Es fehlen auch Abhandlungen über Önologie oder Kochkunst im Burgund – auch wenn sich Hans Roth zwischen den Zeilen immer wieder als Liebhaber der unterschiedlichsten burgundischen Schweinswürste oder als strenger Kritiker des „Nouveau Beaujolais“ entpuppt. Wichtiger sind dem Autor etwa die Geburtshäuser bekannter und weniger bekannter SchriftstellerInnen (Colette, Restif de la Bretonne, Jacques Lacarrière) und deren Wirken im „terroir“, lokale Legenden und Mythen um uralte Eichen, Steinkreuze am Wegesrand oder Ruinen in einer gottverlassenen Gegend. Roths wissenschaftliche Hypothesen sind aber oft nur Spekulation. Als LeserIn sollte man nicht alles für bare Münze nehmen. Restif de la Bretonne als Autor großer Bauernromane aus der Bourgogne zu bezeichnen, wirkt nicht minder eklektisch als in Nicéphore Niepce den Erfinder der Fotografie schlechthin zu sehen. Unpassend ist auch mancher zeitgeschichtliche Vergleich.
Die Stärke des Buches liegt in Roths Sinn fürs Detail. Kaum eine Dorfkirche, in der er nicht wenigstens eine interessante Holzskulptur entdeckt, kaum eine Ecke in der Altstadt von Noyers, Auxerre oder Cluny, die er nicht wie seine Westentasche kennt, und kein uraltes Bauernhaus in den burgundischen „terroirs“, das er nicht aufgesucht hätte.
Sein Buch ist voller Geheimtips für einen Aufenthalt in dieser oftmals nur als Durchgangsland angesehenen, vom Tourismus vernachlässigten und mithin (noch) verschonten Kulturlandschaft. Klaus Jetz
Hans Roth: „Von Burgund zur Bourgogne. Ein Reisebuch“. Anabas-Verlag, Gießen 1995, 317 Seiten, 38 DM
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