: Die Gnade der schweren Geburt
Wie hört es sich an, wenn ein Mensch wie Bruce Springsteen den Kraftmeier in den USA läßt und statt dessen vom Alter singt? In Berlin war's ein wenig protestsonglerisch um Vietnam oder Reagan gestrickt – und unglaubwürdig ■ Von Thomas Winkler
Das ICC, das Internationale Congress Centrum, für Nichtberliner sei das noch einmal erwähnt, sieht von außen aus wie ein Klingonen-Zerstörer und hat von innen die Atmosphäre eines Großflughafens – nur schlimmer. Man hat einen Eintrittspreis bezahlt, für den man im Greyhound leicht von einem Kaff in Ohio bis nach Kalifornien käme, und dann sitzt man Eingang A, Reihe D, Platz 8. Der Bierstand erinnert an ein Check-in und mitnehmen zum abgezählten Sitzplätzchen darf man die Plörre sowieso nicht. Nebenbei ist auch Rauchen verboten, und unglaublicherweise halten sich alle dran.
Kurz und gut: Warum tat man sich das eigentlich an? Gleich erkannt, das war eine rhetorische Frage. Wegen ihm. Bruce Springsteen, der früher immer aussah wie ein jugendlicher Rumtreiber, die Frisur an den Kopf gepappt, verknautscht, weil er sich beim Aussteigen aus dem Pick-up-Truck gestoßen hatte. Jetzt steht er da. Mit seinem Zöpfchen, die Haare länger, die Geheimratsecken exponiert wie eine Wunde, die es herzuzeigen gilt, einmal, das verspricht: Auch die Helden, die allezeit die Jugend priesen, werden älter. Oder auch wahlweise: Achtung Lebenserfahrung respektive Weisheit! Die Jeans sind nicht mehr eng, das Hemd ist sauber – ein Arbeiter, einer, der sich tagtäglich den Arsch abschubberte, jeden Tag kreuzbrav zur Raffinerie dackelte, bis der Chef ihn nicht mehr brauchte, und der trotz aller Nackenschläge auf sein Äußeres achtet, so sieht Springsteen heute aus. Einer, der schon war wie sein Vater und sein Vorvater. Ein Idealentwurf, den es in der Zweidrittel- Dienstleistungsgesellschaft nicht mehr gibt. Dann beginnt der Entwurf zu singen. Und zu erzählen: „Als ich 22, 23 Jahre alt war, war ich voller Selbsterkenntnis. Aber wenn man älter wird, merkt man, je genauer man sich zu kennen glaubt, desto weniger weiß man wirklich von sich selbst.“
An diesem Abend werden noch viele Geschichten folgen, die in den alten Zeiten beginnen und deren kritische Wendung mit den Worten „when you get older“ eingeleitet werden. Vor Kindern, nach Kindern. Manche Geschichten erzählt er, andere singt er. Vor Vietnam, nach Vietnam. Nur bei der Liebe ist das anders: Nach der Liebe ist immer auch vor der Liebe. Also was einmal die Zukunft des Rock 'n' Roll gewesen sein soll, steht nun da oben und übt sich in der Vergangenheit des Protestsongs. Wir sitzen hier unten. Und lauschen andächtig. In den hinteren Reihen wird sich verschämt geräuspert.
Wir sitzen und sehen nun vor allem, daß es den Springsteen als fleischgewordenen Mythos, der in Cadillacs neben dem unendlichen Highway begraben wurde, nicht mehr geben soll. Wünscht sich Springsteen. Überm Horizont flirrt die Hitze des zu Ende gehenden Tages. Es war eine schwere Geburt, aber mit „The Ghost of Tom Joad“ glaubte man beim Hören der Platte gern, Springsteen sei erwachsen geworden, hätte die Jugend den Jungen überlassen und sich statt dessen dem Tod auf den Straßen von Großstädten (im prominentesten Fall Philadelphia) gewidmet. Ist mithin vom ideellen Gesamt-Amerikaner zum schlechten Gewissen gereift. Ob man an solch einer Aufgabe glücklich wird, ist eine andere Frage.
Hatte er schließlich nicht auch in Interviews verlauten lassen, er sehe seine Unterstützung der Republikaner und vor allem von Reagan inzwischen als Fehler? Vielleicht waren es gar nicht die Texte von „Tom Joad“, die den Eindruck erweckten, Springsteen hätte sich vom verlogenen „No Surrender“ verabschiedet, hätte endlich erkannt, daß die tristen amerikanischen Zustände, die er seit „Darkness on the Edge of Town“ immer wieder beschrieb, nicht dazu angetan waren, noch Platz für Hoffnung zu lassen. Vielleicht war „Tom Joad“ ja nur ein Mißverständnis meinerseits. Vielleicht hat mich die Lakonie des Vortrags getäuscht, die hingetupften Tönchen, die weit hinter das zwar wunderschöne, aber klischeeüberladene Melanchopathos von zum Beispiel „The River“ reichten. Denn so wie er die Songs heute singt – und er, seine akustische Gitarre und ein Arsenal von Mundharmonikas spielen sich fast durch die gesamte „Tom Joad“ –, bekommen die Worte einen neuen Klang. Aus dem „Youngstown“, das den Niedergang der Stahlindustrie beschreibt und das personifiziert, was in Sozialplänen gern als „persönliche Härten“ anonymisiert wird, aus diesem Klagelied wird eine Ode auf die Größe der Nation. Aus der Anklage gegen den Rassismus von „Galveston Bay“ wird die Versprechung des Schmelztiegels, daß die Menschen schon klarkommen, wenn man sie nur läßt. Aus „Tom Joad“, einer Abrechnung mit den Zuständen und leeren Versprechungen in den real existierenden US of A, wird live die Restaurierung des großen Versprechens, daß dies Land deines ist, wenn du nur bereit bist, es zu deinem zu machen.
Dabei hatte, wenn man davon absah, daß er sich in tapfer auswendig gelernten deutschen Sätzen probierte und was es da noch an abgehangenen Entertainer-Tricks gibt, alles recht vielversprechend begonnen. Zwar trug er bei den Songs von „Tom Joad“ schon zu dick auf, aber manche älteren Stücke erfuhren eine überraschende Überarbeitung. „Darkness on the Edge of Town“ wurde zu einem düsteren Rollen und Grollen. Und vor allem „Born in the USA“ dehnte und zerrte er so, ließ seine akustische Gitarre gewalttätig werden und alle Spielregeln fahren, daß selbst das obligatorische Erkennungsgegröhle ausblieb. Diese Version riß sich los von den Nationalisten, die sich den Song angeeignet hatten, und brachte ihn zum Text zurück, der immer noch einer der zynischsten von Springsteen ist.
Zwei Stunden später war wenig geblieben von dieser Aufbruchstimmung und der Mann wieder in seinem eigenen Klischee erstarrt. Einer, der zwar tief und grollend, aber doch vor allem fröhlich über seine eigenen Witze lachte. Und es hingen sogar zerfetzte Saiten vom Gitarrenhals. Abschließend hält er einen kleinen Vortrag über „Früchte des Zorns“, den Film nach dem Steinbeck-Roman. Der Film mit einem Protagonisten namens Tom Joad. Und dann spielt er das letzte Stück. Er spielt es für die Liebe, „cause that's all there is“. Er hatte sich endgültig entschlossen, nicht mehr Zyniker zu sein, sondern lieber das Leid der Nation auf seine Schultern zu laden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen