: Herzog: Viele Gürtel enger schnallen
Zur Eröffnung der Hannover-Messe war die Botschaft der Prominenz einhellig, vom Bundespräsidenten bis zu Gerhard Schröder und Arbeitgeberpräsident Klaus Murmann ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Hannover (taz) – Die Strafe für seine sonntägliche Rede zur Messe-Eröffnung bekam Roman Herzog gleich am nächsten Morgen. Geschlagene zwei Stunden lang mußte der Bundespräsident gestern früh, eingekesselt von Kamerateams, von Messestand zu Messestand eilen und sich geduldig vor allem bundesdeutsche Neuheiten präsentieren lassen: den „schnellsten hydraulischen Drehmomentschrauber der Welt“, ein Automobil-Recyclingsystem und – damit auch der Aufbau Ost zum Zuge kam – ein mehr als mannshohes, für die Stahlverarbeitung bestimmtes „Warmwalzgerüst“ der Magdeburger SKET.
Beim Eröffnungsrundgang des Bundespräsidenten, dem auf der weltgrößten Industriemesse rund 300.000 Besucher in sechs Tagen folgen sollen, hielt sich ein braungebrannter und recht müder Gerhard Schröder lieber gleich im Hintergrund. Und als Herzog schließlich die diesjährige USA-Sonderausstellung zu eröffnen hatte, fiel auch diesem nichts mehr ein: „Ich bin unsicher, und das bin ich höchst selten, denn ich weiß nicht, was ich meiner Eröffnungsrede von gestern abend noch hinzufügen sollte.“ Für ein paar Allgemeinplätze über „Globalisierung, die neue wirtschaftliche Zunkunft“ reichte es dann doch noch.
Die USA, in diesem Jahr das Partnerland der Hannover-Messe, hatte der Bundespräsident in der Tat schon bei der Eröffnungsfeier am Sonntag abend genügend als Vorbild gepriesen und dabei wieder mal den Bundesbürgern die Folterwerkzeuge gezeigt. Da lobte Herzog, daß „in den USA der Anteil der Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt mit gut 16 Prozent bei weniger als der Hälfte der deutschen Quote liegt“. Er kritisierte anschließend den Umfang kollektiver sozialer Sicherheit in Deutschland, der nicht nur an Finanzierungsgrenzen stoße, „sondern dessen Legitimität man durchaus auch hinterfragen kann“.
Er dämpfe „die notwendigen Anreize zur Übernahme rentabler Arbeitsplätze“. Deswegen sind für Herzog Sozial- und Subventionsabbau auch „nicht die einzigen Gürtel, die nunmehr enger geschnallt werden müssen“. Herzog predigte auch Lohnsenkung: „Betroffen werden auch die Arbeitslöhne sein.“ Arbeitgeberpräsident Klaus Murmann konnten solche Äußerungen nur gefallen. Insbesondere die Bonner Regierungskoalition habe erkannt, wie wichtig und unerläßlich die Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sei, sagte er in seiner Eröffnungsansprache. Beim Umbau des Sozialstaates sei inzwischen der Veränderungsprozeß in breiter Front in Gang gekommen. Vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder, der ja nebenbei immer noch eine Art wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD ist, konnte man tags darauf ähnliches vernehmen: „Es muß neu bestimmt werden, was wir uns noch an Sozialstaatlichkeit leisten können und was nicht“.
Das Partnerland USA wird auf der diesjährigen Messe vor allem durch seinen Bundesstaat Ohio präsentiert.
Dessen Gouverneur George V. Voinovich pries gestern pflichtgemäß die friedensstiftende Wirkung des internationalen Wettbewerbs und ermahnte die deutschen Gastgeber: „Wer sich nicht den internationalen Märkten stellt, wird eines Tages erwachen und sich fragen, wo seine Konkurrenzfähigkeit geblieben ist.“ Dennoch kommen auch in diesem Jahr aus dem Partnerland USA weit weniger Aussteller als etwa aus Italien oder Frankreich. Zwar bricht die Investitiongüterschau mit mit rund 3.100 ausländischen und 4.100 bundesdeutschen Firmen wieder einmal ihre eigenen Ausstellerrekorde.
Doch die Messe, die eigentlich aus acht verschiedenen Branchenausstellungen von der Licht- über die Umweltschutztechnik bis hin zur Produktionsautomatisierung besteht, bleibt vor allem eine europäische Veranstaltung: Japan ist in diesem Jahr etwa mit ganzen 18 unter den insgesamt 7.200 Ausstellern vertretern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen