: Warme Worte für die Opfer im Libanon
Jassir Arafat versucht, den Palästinensischen Nationalrat zu überzeugen, seine Charta zu ändern ■ Aus Gaza Georg Baltissen
Die Pleite kündigt sich schon beim Einmarsch an. Rund 400 Delegierte und Gäste sind im Schawa- Center in Gaza versammelt und warten auf ihren Vorsitzenden und Präsidenten. Mit nur halbstündiger Verspätung trifft Jassir Arafat, inmitten einer vielköpfigen Schar, ein. Unverkennbar, die schwarzweiße Kuffiya auf dem Kopf, die rechte Hand zum Gruß erhoben, durchquert er den Saal. Den Pistolenhalfter hat er von seinem Hosenbein verbannt. Auf früheren Sitzungen des Palästinensischen Nationalrats brandete spätestens an dieser Stelle Beifall auf, der Saal hätte getobt. Doch diesmal nur zaghaftes Klatschen.
Eröffnet wird die 20. Sitzung des Palästinensischen Nationalrats mit einer Instrumentalversion der palästinensischen Nationalhymne „Biladi“ und – eine Neuerung – dem Verlesen einer Koransure. Arafat hat sich in seiner Eröffnungsrede an diesem Abend für Parolen und Lautstärke entschieden. Aber die abgeschliffenen Rhetorikkünste des Vorsitzenden ziehen niemanden mehr in ihren Bann. Die Anwesenden kennen die dreimalige Wiederholung von Wörtern oder Sätzen, den Anstieg der Phonstärke bei Begriffen wie Heimat, Jerusalem oder Unabhängigkeit. Der Funke springt nicht über. Dabei ist es nach fast 30 Jahren das erste Mal, daß das Exilparlament der PLO auf palästinensischem Boden tagt. Freilich nicht ohne die wohlgemeinte Unterstützung der israelischen Regierung, die sogar ehemalige Flugzeug- und Schiffsentführer einreisen ließ.
Die Sitzung ist von historischer Bedeutung. Die palästinensische Nationalcharta muß laut Abkommen mit Israel bis zum 17. Mai geändert werden, und das mit einer Zweidrittelmehrheit. Die alte Charta, verfaßt nach der arabischen Niederlage im Juni-Krieg 1967, ist ein Dokument der Unversöhnlichkeit. Sie negiert das Existenzrecht Israels und fordert die Befreiung ganz Palästinas. Arafat zeichnet die Stationen nach, die die PLO inzwischen von dieser Charta trennen, vom Zehnpunkteprogramm 1974 bis zur Unabhängigkeitserklärung und Anerkennung Israels auf der letzten Nationalratssitzung in Algier 1988. Unmißverständlich seine Worte: „Wir können nicht nur nehmen, wir müssen auch geben.“ Kaum mehr als höflicher Beifall im Saal. Es ist nicht nur die wirtschaftliche Misere, die fortdauernde Abriegelung des Gaza-Streifens durch Israel, es ist vor allem der Krieg im Libanon, der auf die Gemüter drückt. Arafats Solidaritätserklärung an die Palästinenser und Libanesen im israelischem Bombenhagel bleibt phrasenhaft: „Wir sind mit euch, nicht mit Worten, sondern mit unserem Blut.“
Ob nun eine völlig neue Verfassung ausgearbeitet wird oder die alte nur überarbeitet wird, läßt Arafat offen. Spielraum für Verhandlungen und Machtpoker. Offiziell hat der Nationalrat vorerst genug damit zu tun, seine eigene Beschlußfähigkeit festzustellen. Selbst aus Syrien sind Delegierte der Volksfront und der Demokratischen Front eingereist. Nur ihre Chefs, George Habbash und Na'if Hawatmeh, fehlen. Auch PLO- Außenminister Faruk Kaddoumi hat es vorgezogen, das Treiben von Tunis aus zu beobachten. Nur einmal gelingt es Arafat an diesem Abend, die Lacher auf seine Seite zu bringen. Als er sich bei den arabischen Präsidenten für deren Unterstützung bedankt, nennt er beim Stichwort Libanon den Namen des syrischen Präsidenten Hafis al-Assad. Eine freudsche Fehl- oder eine politische Meisterleistung.
Kontrovers diskutiert wird in den kommenden Tagen auch die Wahl des neuen Exekutivkomitees der PLO. Arafat plädiert dafür, wie bisher dem Nationalrat eine Liste der 15 Mitglieder zur Abstimmung vorzulegen. Doch viele Delegierte möchten über jeden Kandidaten einzeln abstimmen, um „Unfähige“ oder „Nichtstuer“ abzuwählen. Arafat wiederum will die PLO und ihre Gremien stärken, um ein Gegengewicht zum gewählten Autonomierat zu bilden. Bei der Ernennung seines Autonomiekabinetts kann er nur 20 Prozent der Minister selbst bestimmen, die restlichen werden vom Autonomierat gewählt. Daß Arafats al-Fatah auch in diesem Rat eine deutliche Mehrheit hat, scheint ihm nicht zu genügen.
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