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Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

... ist nicht die Krone der Schöpfung. Wahrlich nicht! Aber doch was Besonderes, was ganz Besonderes. Einzigartig und unvergleichlich, ein exklusives Geschöpf. Wenn nicht Krone, dann doch Diadem oder Sahnehäubchen. Wenigstens das! Den kollektiven Konsens von der besonderen Klasse höflichst in Frage zu stellen, kann den Ausschluß bedeuten, die Aberkennung aller homophilen Ehrenrechte, und der Verweis ins heterosexuelle Lager ist gewiß.

Da sitzen ein paar ehrenwerte Herren zusammen und durchstöbern ihre Biographien nach dem Ursprung des Besonderen. „Ich war gerade elf“, erzählt einer, „und hörte ,Schöner fremder Mann‘ von Connie Francis und mußte heulen.“ „Und ich habe geheult bei Nana Mouskouris ,Ich schau den weißen Wolken nach‘“, fällt ein anderer ihm ins Wort. Und ein Klagelied folgt auf das andere – Schlager allesamt. Die zufällige Konkordanz verdichtet sich zur Wahrheit: Schlager treiben schwulen Männern das Wasser in die Augen. Vom Ei zur Henne ist es nur noch ein kleiner Schritt. „Weil Schwule in ihrer Kindheit besonders einsam sind, können sie sich besonders gut mit der Sehnsucht nach fremden Männern und unbestimmten Weiten – die großen Themen bedeutender Schlager – identifizieren.“ Ach was! „Aber 15jährige picklige, pubertierende Heteros sind auch einsam und kriegen den Blues bei Deep Purple oder Mick Jagger.“ Der simple Einwand führt zur Katastrophe: „Quatsch!“ Ein Gewitter bricht los. „Die Einsamkeit eines 15jährigen Schwulen ist mit der eines 15jährigen Heteros doch überhaupt nicht zu vergleichen.“ „Aber...“ „Wenn sich ein Heteroknabe nach einer Freundin sehnt, muß er doch nur auf die Straße gehen.“ „Aber...“ „Und nichts muß er sich übersetzen in seinen Rockschnulzen, die sind doch alle nur für ihn gemacht.“ „Aber...“ Kein Aber mehr, den Kopf einziehen muß der Renegat, die Stimmung ist auf dem Siedepunkt. Der Rest geht unter in empörtem Kopfschütteln, heftigen Attacken und persönlichen Beleidigungen. Wo gerade noch Nana Mouskouri balzte, ziehen sich jetzt tiefe Gräben lang. Auf der Differenz wird bestanden, selbst wenn sie nur auf verschiedenen Gitarrenakkorden basiert oder auf einer anderen Stimmlage. Das Anderssein lassen wir uns nicht nehmen, und die traute Runde endet im Streit. Der Himmel klärt sich auf am nächsten Morgen. Mit dem Frühstücksradio. Da singt einer, unverkennbar, die graue Eminenz im Deutschrock und ganz gewiß nicht der schwulen Subversion verdächtig: Udo Lindenberg. Im stampfenden Rhythmus des simplen Heterorock nuschelt er ein Lied des Berliner Sängers Funny van Dannen. Er erzählt von Jochen zum Beispiel, der mittendrin steht im Immobiliengeschäft und keine Zeit hat für Gefühle. Oder von seinem Vetter Udo, der Fußballprofi ist und fit in Karate und Judo. Und just jene Bilderbuchkerle traf Udo dort, wo doch angeblich nur heulende Homos sich tummeln: „Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert, ich hab' dich gesehen, mein Freund.“ Aber es kommt noch schlimmer: „Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert, ich war auch da, und du hast geweint.“ Ausgerechnet der König der Machos muß es sein, der die Debatte aufgreift und der schönen Homo-Theorie den Garaus macht.

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