: Der Schreibtisch als Weltspiegel
■ Zwischen Aufzeichnung und Niederschrift: Georg Jappes Schreibkunst
„Ich bin nicht traurig, wenn es nicht dechiffriert wird“, sagt Georg Jappe über seine in kleiner, steiler Schrift eher bezeichneten als beschriebenen Papiere, die einst als Schreibtischunterlagen dienten. Und er begründet bei der Ausstellungseröffnung in der Kunsthalle dies in zurückhaltendem Humor mit einer Sentenz des chinesischen Altmeisters Li Chi Lai: „Es gibt nur drei schlimme Dinge: verkommene Jugend, schlechten Tee und das Schänden bester Bilder durch gemeines Begaffen“.
Was von der heutigen Jugend zu halten ist, behalten wir für uns, Tee ist in Hamburg in jeder Qualität zu haben und was die Bilder angeht, kann man sich über den aktuellen Konsum von Kunst schon ein wenig wundern. Die zwischen visueller Poesie und Zeitspur angelegten Schreibtischblätter verweigern jedenfalls den leichten Zugang, sind weder als Bericht, noch als Bild im Vorbeigehen zu verstehen.
“Das Schreiben ist wichtiger als das Geschriebene, ...für das Geschriebene gibt es Taschenbücher“. Hier kommt es auf eine selten gewordene Haltung hinter diesen „inneren Wanderkarten“ spezieller Aufenthaltsorte aus den letzten dreißig Jahren an und auch den bewußten Umgang mit dem einfachsten Medium, Papier und Tinte, in Zeiten allgemeiner Computerei. Dabei steht der Schriftkünstler auf fast verlorenem Posten, hat der Konzentrationsprozeß der EU sich doch als großer Vernichter der Vielfalt an regionalen Papieren und Tinten erwiesen. Und selbst die besonderen chinesischen Papiere, die er von seinem Austauschprofessorat in Hang-tschou mitgebracht hatte, zerfetzten in den hiesigen Druckmaschinen.
Georg Jappe sieht sich dem Wesen der asiatischen Kalligraphie verwandt. Dort werden die Texte um so klassischer, je individueller und unleserlicher die Schriftzeichen werden, damit man, weil der Inhalt bekannt ist, auf das wie und nicht das was achtet. Doch Georg Jappe ist es nicht unwichtig, was er geschrieben hat: „Manche können das lesen...“, vermutet er über seine strichige Schrift, die er einst bei der schnellen Mitschrift der improvisierten Exkurse in den Vorlesungen Theodor W. Adornos lernte. Doch die Schrift ist nicht nur Vehikel, sondern zusammen mit den Abdrücken von Fliegen und Kaffeetassen auch optisches Material, zu Kunst befreite Unlesbarkeit, wie die Kuratorin Hanna Hohl sagt.
Es sind die Erzählungen hinter dem Sichtbaren, die den Reiz dieser großen Blätter ausmachen. Am besten ist es, diese vom Autor selbst zu hören, ersatzweise tut's auch der Text im Katalog.
Hajo Schiff
Kunsthalle, bis 26. Mai; Katalog/Buch „Schreibtischblätter/Ornithopoesie“, 38 Mark
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