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Panische Planmäßigkeit

Am 3. Mai 45 starben in der Ostsee 7.000 KZ-Häftlinge bei einem britischen Bombenangriff. Ein Film schildert den „Fall Cap Arkona“  ■ Von Jörg Häntzschel

1942 hatte die Ufa die zu diesem Zeitpunkt etwas merkwürdig anmutende Idee, den Untergang der Titanic zu verfilmen. Kein anderes Schiff war für die Titelrolle so prädestiniert wie die Cap Arkona, die damals ein trauriges Dasein als Erholungsdampfer für Soldaten fristete. Herbert Selpin, der Regisseur, wurde noch auf dem Set verhaftet, der Film in Deutschland nie gezeigt.

Die Cap Arkona, 1927 vom Stapel gelaufen, war eines der größten und luxuriösesten Schiffe Europas. Bis zum Krieg fuhr die „Königin des Südatlantik“ regelmäßig von Hamburg nach Rio de Janeiro. Auf Deck: elegante Menschen, im Bauch: Autos und Bananen. Mit Kriegsbeginn endeten die kurzen Glanzzeiten des Luxusreisens jäh. Das Schiff kam in die Hände der Marine.

April 1945: Die Alliierten haben den größten Teil Deutschlands eingenommen. Von Neuengamme bei Hamburg, wo damals ein KZ stand, und heute, am selben Ort, ein Jugendgefängnis, sind die Briten nur noch wenige Tage entfernt. Doch statt sich in der für sie aussichtslosen Situation selbst in Sicherheit zu bringen, bleiben die KZ-Verwalter pflichtbewußt. Ein letzter Befehl Himmlers ist auszuführen: Kein Häftling darf in Feindeshand fallen. Überall in Deutschland werden in panischer Planmäßigkeit KZ-Insassen ins Innere des winzigen Rests Großdeutschlands verschoben. Doch der Platz wird immer knapper.

Zwei Schiffe, die im Hafen von Lübeck liegen – die Cap Arkona und die Thielbek – werden zu schwimmenden Internierungslagern. Am 27. April werden 8.000 Gefangene aus Neuengamme in den unteren Decks zusammengepfercht. Ein paar Kilometer vor der Hansestadt gehen die Schiffe vor Anker.

Günter Klaucke und Karl Hermann versuchen in ihrem Film „Der Fall Cap Arkona“, die Ereignisse zu dokumentieren, die ein paar Tage später zur „größten Schiffskatastrophe der Geschichte“ führten. Auf den ehemaligen Luxuslinern gibt es nichts zu essen und kaum Wasser. Nicht einmal zum Hinsetzen ist genug Platz. Jeden Morgen zieht die Besatzung zehn bis fünfzehn Tote aus dem Schiffsbauch. In London fragt man sich unterdessen, was von diesen und den anderen dort liegenden Schiffen zu halten ist und vermutet, daß sich Teile der deutschen Armee oder Nazigrößen über den Seeweg absetzen wollen.

Am Mittag des 3. Mai beschießt die Royal Air Force (RAF) in ihrem letzten Angriff die Schiffe im Tiefflug. Nur ein paar hundert Häftlinge können sich retten, tausende verbrennen oder ertrinken in der Ostsee. Daß sich Häftlinge, keine Soldaten, an Bord der Schiffe befanden, erfuhren die Engländer erst in dem Moment, als die Angriffe begonnen hatten – zu spät. Die verbreiteten Zweifel an dieser Version räumt der Film aus. Die Vermutung hingegen, die SS habe geplant, das Schiff samt Häftlingen und Besatzung zu versenken – die Schwimmwesten wurden von Bord genommen, der Besatzung die Auskünfte verweigert – kann der Film weder bestätigen noch dementieren.

Klaucke und Hermann befragen die zwei einzigen Überlebenden der Besatzung, einen englischen Historiker und zwei überlebende Häftlinge. Einer von ihnen ist Erwin Geschonneck, Schauspieler am Berliner Ensemble. Ihre unterschiedlichen Versionen der Ereignisse, ihr Ringen um Worte, die beschreiben könnten, was sie erlebt haben, ihre Fluchten in die Peripherie des Ereignisses, das zu erzählen so viel Überwindung kostet, sind die beeindruckendsten Passagen des Films.

„Die armen Leute, die liegen hier unten, und niemand weiß es!“ Dort, wo sich heute zwei Kieswege treffen, auf einem kleinen Friedhof in Neustadt bei Lübeck, hat der ehemalige Schiffsjunge, damals 15 Jahre alt, mit seinem Vater Häftlinge verscharrt, die schon vor dem Angriff tot vom Schiff geholt wurden. Ein Mann erzählt, wie er als 9jähriger SS-Männern half, die Munition zu tragen, mit der sie später am Hafenbecken von den Schiffen Geflohenen in den Kopf schossen.

Dennoch haben die Filmemacher die Interviews verschenkt. Nicht jeder muß vorgehen wie Claude Lanzmann oder Marcel Ophüls, aber wenn ein Augenzeuge lediglich einen sorgsam abgewogenen und auswendig gelernten Text in die Kamera spricht, wenn andere auf weitere Fragen nur warten, die aber nicht gestellt werden, distanziert sich der Zuschauer von dem Geschehen. Fast ärgerlich sind dramatische Inszenierungen in Reality-TV-Manier. Als zweifelten sie an der Bedeutung ihres Themas, verbrämen die Filmemacher ihre klassische Dokfilm-Melange aus Interviews, historischen Filmen und Besuchen an den Schauplätzen mit Spielszenen, dräuender Musik und düsteren Nachtaufnahmen am Hafen.

„Der Fall Cap Arkona“. Täglich 18.15 Uhr, Sputnik Südstern, Hasenheide 54, Kreuzberg

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