: „Waigels Verschiebebahnhof“
■ Peter Keller von der CDU/CSU-Arbeitnehmergruppe will eine Kürzung des Krankengeldes um 20 Prozent nicht hinnehmen
taz: Das Bonner Sparpaket ist geschnürt. Hat sich die Arbeitgeberseite in der Union durchgesetzt?
Peter Keller: Die Union kann Wahlen nur gewinnen, wenn sie ausgewogene Pakete vorlegt. Denn wir sind eine Volkspartei, ganz im Gegensatz zur FDP mit ihren fünf Prozent. Sicherlich könnte man im Moment den Eindruck haben, als hätten sich Arbeitgeberinteressen durchgesetzt. Aber auch wir von der Arbeitnehmerseite sind der Meinung, daß wir sparen müssen. Manche sozialen Sicherungssysteme, wie etwa die Renten, sind eben einfach nicht mehr so zu finanzieren wie bisher. Außerdem müssen wir den Umbau des Sozialstaats weiter vorantreiben, um ihn zu erhalten. Ich erinnere nur an die Pflegeversicherung, wo wir den Arbeitgeberanteil kompensiert haben. Und wir müssen zudem Perspektiven aufzeigen.
Eine Perspektive scheint die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu sein. Die soll künftig in den ersten sechs Wochen nur noch 80 Prozent des Gehaltes betragen.
Das ist nur eine Perspektive für die Arbeitgeber. Bei der Lohnfortzahlung wäre ich, ähnlich wie Teile der Gewerkschaften, bereit gewesen, künftig nur noch den Tariflohn ohne Überstunden und andere Zuschläge zu zahlen.
Dieser Vorschlag hat in der Regierungsriege anscheinend keine Mehrheit. In Zukunft werden laut DGB rund 40 Prozent aller Arbeitnehmer nur noch eine gekürzte Lohnfortzahlung erhalten. Etwa 60 Prozent der Arbeitnehmer wären vorerst noch durch ihre Tarifverträge geschützt.
Seit über dreißig Jahren haben Arbeiter, Angestellte und Beamte die gleichen Lohnfortzahlungen. Mit der neuen Regelung schaffen wir ein neues Zweiklassensystem bei der Lohnfortzahlung. Und das habe ich in den 50er Jahren noch selbst erlebt. Der Malocher in der Gießerei hatte damals noch Karenztage. Seine Tochter bekam als Angestellte vom ersten Tag an hundert Prozent Lohnfortzahlung. Solch ein Zweiklassensystem ist mit mir nicht noch einmal zu machen.
Wie stehen Sie zum Kündigungsschutz, der nun gelockert werden soll? Bisher galt in Betrieben bis zu fünf Mitarbeitern kein Kündigungsschutz. Diese Schwelle soll nun auf zehn Mitarbeiter erhöht werden.
Der Kündigungsschutz ist für mich genauso problematisch. Von solch einer Regelung wären ungefähr acht Millionen Arbeitnehmer betroffen. Anders ausgedrückt, jeder vierte Arbeitnehmer könnte künftig grundlos gekündigt werden. Und er kann anschließend nicht dagegen klagen. Ich frage mich, warum die Regierung mit solchen Vorschlägen so eine Front gegen die Gewerkschaften aufbauen muß.
Da bahnen sich amerikanische Verhältnisse an.
Oder englische ... die Briten lassen ja etwa die Hälfte ihrer Arbeitnehmer nach dem Prinzip „hire and fire“ kommen und gehen.
Auch Arbeitslose sollen vom Spartrieb der Regierung nicht verschont bleiben.
Da soll unter anderem die Arbeitslosenhilfe auf fünf Jahre begrenzt werden. Das ist eine reine Sparmaßnahme für Waigels Haushalt. Ein reiner Verschiebebahnhof: Die Kosten werden vom Bund auf die Kommunen verlagert, denn die müssen anschließend die Sozialhilfe auszahlen. Mit unserem Ziel, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, hat das überhaupt nichts mehr zu tun.
Noch einmal zur Ausgangsfrage: Hat der Arbeitnehmerflügel innerhalb der Union überhaupt noch etwas zu sagen?
Sie dürfen nicht vergessen, daß das Sparpaket erst einmal den politischen Rahmen absteckt. Erst anschließend beginnt ja das Gesetzgebungsverfahren, beginnen die Anhörungen, Ausschußberatungen und Lesungen. Das ist ein langwieriger Prozeß, der uns als Sozialpolitiker noch enorm beschäftigen wird.
Das heißt, der Arbeitnehmerflügel innerhalb der Union steht im Moment schwach da. Wenn es jedoch konkreter wird, dann will er wieder zuschlagen.
Natürlich. Dann sind wir stark. Jedes Gesetzesvorhaben muß dann einzeln behandelt werden. Einigen Änderungen des Arbeitsförderungsgesetzes muß auch der Bundesrat zustimmen ...
... das heißt dann wohl, hier hat auch die SPD ein Wort mitzureden.
Ja. Und die arbeitsrechtlichen Maßnahmen bei Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz unterliegen reiner Bundesgesetzgebung. Hier muß also die Koalition die Mehrheit bringen. Diese Mehrheit beträgt aber bloß sieben Stimmen. Interview: Karin Flothmann
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